1701 - Templer-Mirakel
der ihn und mich beobachtete.
»Wovor fürchten Sie sich?«, fragte ich. »Dass man Ihnen auf der Spur sein könnte?«
»Sie sagen es.«
»Als Verräter muss man vorsichtig sein.«
»Genau.« Er blieb vor mir stehen. »Haben Sie denn etwas Verdächtiges gesehen?«
»Nein.«
»Dann können wir.«
Er war schon einen Schritt vorgegangen, als ich ihm meine Hand auf die Schulter legte und ihn zurückhielt. »Einen Moment noch.«
»Was ist denn?«
»Sie haben bisher viel geredet, aber wenig gesagt. Was wird mich in der Kirche erwarten?«
»Gräber.«
Fast hätte ich gelacht. »Das weiß ich selbst. Haben Sie mich deshalb hergeholt, um diese Gräber zu besichtigen?«
»Nein.«
»Warum dann?«
»Lassen Sie uns hineingehen.«
Ich hatte nichts dagegen. Ich ließ Aubry sogar den Vortritt. Er ging auf den kleinen Anbau mit dem geschwungenen Dach zu, dessen Eingang von keiner Tür verschlossen wurde.
Unter dem Dach war es stockfinster. Aubrys Gestalt war plötzlich nicht mehr zu sehen.
Ich nahm den gleichen Weg, drehte mich zuvor aber um, weil ich sehen wollte, ob wir verfolgt wurden.
Es war nicht der Fall. Zumindest sah ich nichts. Dafür hörte ich die Stimme aus dem Dunkel.
»Kommen Sie endlich, Sinclair!«
»Keine Sorge, ich bin da.«
Wenig später war auch ich in der Dunkelheit verschwunden. Ich tastete nach meiner Lampe, ließ sie aber noch stecken, denn im Moment brauchte ich kein Licht.
Aubry hatte bereits die Tür zur Kirche aufgezogen, und wenig später betraten wir gemeinsam den Rundbau …
***
Ich hatte es nicht gewollt und hielt trotzdem den Atem an. Ein kaum zu beschreibendes Gefühl überkam mich, ich dachte dabei an die Vergangenheit, an die Templer, die für ihre Überzeugung gestorben waren und hier begraben lagen.
Es war in dieser Kirche nicht völlig finster, aber sehr dunkel. Die Luft roch abgestanden, sie war zudem feucht und schien auf meiner Haut zu kleben.
Es kam darauf an, aus welchem Blickwinkel man die Kirche von außen betrachtete, man konnte sie als klein ansehen, aber auch als recht groß.
Ich erlebte das Innere zwar groß, aber wegen der Dunkelheit trotzdem irgendwie zusammengezogen.
Jacques Aubry und ich waren einige Schritte weit in die Kirche hineingegangen, ohne dass sich etwas getan hatte. Doch das machte mich nicht lockerer. Ich war auf Überraschungen gefasst und wusste noch immer nicht, warum man mich in die Kirche gebracht hatte.
Meine Augen hatten sich zunächst mal an die Dunkelheit gewöhnen müssen. Als das passiert war, fiel mir etwas auf. Es konnte auch eine Folge der Erinnerung sein, weil ich ja früher schon ein paar Mal diese Kirche betreten hatte, und so wusste ich, wo sich die Gräber der Templer befanden.
Man fand sie nicht in der Mitte oder nur wenige. Die meisten Gräber waren an den Seiten zu finden. Dort lagen die steinernen Figuren der Templer auf dem Rücken. Manche hielten ein steinernes Schwert umklammert, andere wiederum hatten die Hände nur gefaltet.
Einige trugen Helme. Bei anderen Figuren waren die Köpfe kahl und an nicht wenigen hatte der Zahn der Zeit genagt, sodass ihre Gestalten manchmal wie angefressen aussahen.
Das alles hatte ich schon bei meinen früheren Besuchen gesehen. Ob das jetzt noch so stimmte, wusste ich nicht, im Dunkeln war nichts zu erkennen. Ich brauchte Licht, und das steckte in meiner Tasche.
Als ich die kleine Lampe hervorholte, bemerkte Aubry die Bewegung. »Was haben Sie vor?«
»Nichts Besonderes. Ich möchte mich nur ein wenig umschauen, und das klappt nur bei Helligkeit.«
»Wie Sie wollen.«
Ich ließ es noch dunkel. »Sagen Sie mir endlich, warum Sie mich hergeführt haben. Bisher ist nichts passiert, und ich habe auch nicht den Eindruck, als könnte etwas passieren.«
»Das sollten Sie abwarten.«
»Klar. Aber bitte nicht zu lange.«
Er schwieg.
Ich war tatsächlich etwas sauer. So hatte ich mir den weiteren Verlauf nicht vorgestellt. Ich griff in die Tasche und wollte endlich Nägel mit Köpfen machen. Ich rechnete damit, dass sich in dieser Kirche jemand versteckt haben könnte. Sie war ideal dafür. Und auch an einen Hinterhalt dachte ich.
Das Licht hatte ich auf eine helle Stufe gestellt. Es war nicht nur ein feiner Strahl, der wenig später die Dunkelheit zerstörte. Was aus der Lampe kam, sah aus wie ein Fächer, und der brachte mir eine gute Sicht.
Zuerst glitt er über den Boden, doch als ich ihn nur ein wenig schwenkte, huschte er über die hier vorhandenen Gräber hinweg. Es waren
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