1703 - So grausam, schön und tödlich
war ein künstlicher Halbmond angebracht, auf dessen Fläche Strasssteine klebten und dafür sorgten, dass er von einem Glitzerschein umgeben wurde.
Jane lachte. »Da wären wir.«
»Und hoffentlich auch bei den Vampiren. Ich habe nämlich keine entdecken können.«
»Es ist noch früh.«
»Aber schon dunkel.«
Jane schnippte mit den Fingern. »Mein Gefühl sagt mir, dass wir dort fündig werden.«
»Da bin ich mal gespannt. Allerdings gehe ich davon aus, dass es viele blonde und dunkelhaarige Frauen gibt.«
»Wir müssen eben den richtigen Riecher haben.«
Und den trug ich bei mir. Damit meinte ich nicht meine Nase, sondern das Kreuz. Ich war sehr gespannt darauf, ob es sich wohl melden würde …
***
Den Halbmond gab es nicht nur draußen, sondern auch in der Disco. Nur sah der zweite anders aus. Er erinnerte an einen Krummsäbel in fahlgelber Farbe, der schräg unter der Decke hing und aussah, als würde er jeden Moment fallen, um den Besuchern mit schnellen Schlägen die Köpfe abzuschlagen.
Die Wände waren dunkel. Jedenfalls sah es im ersten Moment so aus. Wer genauer hinschaute und dessen Augen sich an die Beleuchtung in der Disco gewöhnt hatten, der erkannte die zahlreichen winzigen Lichter, die wohl einen Sternenhimmel imitieren sollten, der hier nur nicht am Himmel hing, sondern an den Wänden.
Das war der äußere Eindruck. Aber da gab es noch die Musik, und die überraschte mich schon.
Auch Jane hatte damit nicht gerechnet. Sie sagte: »He, das ist ja fast ruhig.«
Sie sprach auf die Musik an, und sie hatte sich nicht geirrt. Es waren recht ruhige Melodien. Möglicherweise die Musik der Grufties, der Schwarzen, die sich gern schwermütige Melodien anhörten.
Ansonsten hatten wir eine normale Kneipe oder einen normalen Pub betreten, der nur durch die Veränderung zu etwas anderem geworden war.
Es gab Tische und Stühle, die zusammenstanden. Auf den Tischen lagen schwarze Samtdecken. An einigen Tischen hatte hin und wieder jemand Konfetti gestreut. Der Grund war für uns nicht zu erkennen, und wir waren in diesem Fall wieder eine Besonderheit in dieser seltsamen Bar.
Man ließ uns in Ruhe. Keine abschätzenden Blicke, keine blöden Bemerkungen. Wir schoben uns bis zur Theke hin vor, wo einige Arbeiter aus der Fleischfabrik standen, Zeitungen lasen und Kaffee tranken, die schon bezahlt hatten, denn als wir erschienen, räumten sie ihre Plätze. Möglicherweise begann ihre Schicht. Auch eine Pause konnte ihr Ende gefunden haben, wie dem auch war, es spielte für uns keine Rolle. Wichtig war, dass wir ihre frei gewordenen Hocker einnehmen konnten.
Es waren harte Sitzflächen. Zwei Kreise auf vier Beinen. Die Dekoration war nicht auf die Theke übergegangen. Sie sah aus wie immer. Sie gehörte in einen normalen Pub.
Zwei Männer zapften Bier, und einer von ihnen brachte die Getränke an die Tische, wo die anderen Gäste saßen und eine bunte Mischung bildeten.
Es gab die Schwarzen in ihren dunklen Outfits. Es gab auch die bunten Vögel, die nicht wussten, ob sie Mann oder Frau waren und bei Dunkelheit dieses Doppelleben nach außen tragen konnten, ohne dass sich jemand daran störte.
Dann gab es noch die normalen Gäste. Paare, die nur etwas trinken wollten. Männer, die ein Bier nach dem anderen zischten und dabei Zeitungen lasen.
Man kümmerte sich nicht um den Nachbarn am Nebentisch. Dennoch herrschte eine lockere und auf der anderen Seite beinahe intime Atmosphäre, sodass sich jeder Gast wohl fühlen konnte, denn angemacht wurde hier niemand.
Man lebte und ließ leben.
Jane stieß mich an, weil ich eine Weile nicht gesprochen hatte. »Na, was sagst du dazu?«
»Nicht schlecht, wenn du die allgemeine Stimmung hier meinst.«
»Finde ich auch. Die Leute wollen ihre Ruhe haben und einfach nur ihr Bier trinken.«
Danach wurden wir auch gefragt. Der junge Typ hatte seine Haare rot eingefärbt und grüne Ohrstecker durch seine Läppchen schießen lassen.
»Ich trinke Mineralwasser«, sagte Jane.
»Gut.« Ein kurzes Nicken. Dann die Frage an mich. »Und was möchtest du?«
»Auch Wasser.«
»Keinen harten Drink dazu? Einen Wodka?« Er grinste. »Das Zeug riecht man nicht.«
»Es bleibt dabei.«
»Schön.«
Wir bekamen unser Wasser. Man öffnete uns sogar die Flaschen. Auf einen Kaffee als Aufwärmer hatte ich verzichtet, obwohl eine Kaffeemaschine in der Nähe der Zapfanlage stand. Da hielt ich mich lieber an die braune Brühe, die Glenda Perkins zubereitete.
Jane ließ mich
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