171 - Todfeinde
und lauschte. »Bitte nicht, ich…« Er schluckte, überwand sich und umarmte sie. »Du weißt, dass ich noch in der Fastenzeit bin. Der … der Große Trojaana wird zornig, wenn seine Diener während der Fastenzeit … das Geschrei kranker oder gequälter Sünder hören müssen.« Sie schmolz in seinen Armen dahin. Hacker wurde ganz steif, nur nicht da, wo sie es gern gehabt hätte. »Dann … dann legt er mir noch zwei Wochen des Fastens auf.«
»Bitte nicht!« Flehend blickte sie zu ihm hoch. Mr. Hacker versuchte sich zu entspannen. Mit einem Anflug von brüderlicher Zärtlichkeit zog er sie dicht an sich, um ihr nicht in die Augen sehen zu müssen.
»Also gut«, sagte sie, und er hörte ihrer Stimme an, dass sie lächelte. »Wenn du dein Fasten ein wenig abkürzt, sagen wir, wenn es in drei Tagen endet, dann würde ich auf eine Fortsetzung des Verhörs verzichten…«
***
Vor lauter Langeweile hatte sie damit begonnen, den großen Dachboden zu durchsuchen, in dem sie sich seit fast zwei Wochen versteckte. Alte Schränke standen dort an den Giebelwänden und Dachträgern, unzählige Kisten in kaum zugänglichen Winkeln und überall haufenweise Hausrat, Bücher und Papiere. Miss Hardy fragte sich, ob manche dieser Dinge schon existiert hatten, als fünfhundertzehn Jahre zuvor der Komet auf der Erde eingeschlagen war.
Es war bereits der dritte Tag nach dem Treffen mit Mr. Hacker in der Kirchenruine. Und zugleich drei Tage her, dass Honeybutt etwas von ihm und Mr. Black gehört hatte. Von Gantalujew war nur Proviant und frische Wäsche gekommen, neue Nachrichten über die Fürstenburg hatte auch sein Bote nicht mitgebracht. Nur ein Gerücht. Danach hatte die Fürstin Black nicht allein in den Kerker geworfen, sondern ihn sogar foltern lassen.
Honeybutt hoffte inständig, dass es nur ein Gerücht war und weiter nichts.
In der siebten oder achten Kiste stieß sie auf etwa ein Dutzend sorgfältig in Papier gewickelte Flaschen. Im Schein einer kleinen Öllampe packte Miss Hardy die Flaschen aus. Die Etiketten waren in kyrillischen Buchstaben beschriftet; keine lösbare Aufgabe für sie.
Also entkorkte sie eine Flasche und roch daran. Alkohol, keine Frage. Sie probierte einen kleinen Schluck. Schnaps.
Nicht einmal Wudan würde wissen, wie alt das Gesöff war. Doch so weit sie das als Laie beurteilen konnte, schmeckte er gut.
Honeybutt Hardy blickte zum runden Giebelfenster.
Sterne funkelten am Nachthimmel, die Decke aus Wolken, Rauch und Staub war aufgerissen. Sie lief zum Fenster. Das fremde Schiff unten im Hafen war hell erleuchtet. Manche Lichter an Bord bewegten sich.
Besatzungsmitglieder mit Fackeln oder Öllampen. Sollte doch etwas dran sein an dem schlimmen Gerücht, dann war es höchste Zeit zu handeln. In ihrem Kopf nahm eine Idee Gestalt an.
Sie schlüpfte in den schwarzen Kapuzenmantel, den Gantalujew ihr geschenkt hatte, klemmte sich eine der Schnapsflaschen unter den Arm und schlich durch das Treppenhaus auf die Straße hinunter. Die fürstlichen Hafenwachen patrouillierten zu zweit und in einem Rhythmus, den Honeybutt längst verinnerlicht hatte. Sie brauchte nicht einmal zehn Minuten bis zur Anlegestelle des Dreimasters.
»Wer da?«, rief mit schwerer Zunge ein Matrose an der Reling. Er hob eine Öllampe, und Honeybutt sah, dass er schwankte.
»Eine Bürgerin St. Petersburgs«, sagte sie. »Mein Name ist Honeybutt, und ich möchte dem Kapitän dieses schönen Schiffes ein Geschenk machen.«
»Honeybutt – was für ein Name!« Ein zweiter Mann hinter der Reling kicherte. Auch er hob eine Öllampe und versuchte ihre Gestalt zu beleuchten. Sie zog die Kapuze tief ins Gesicht und senkte den Kopf.
»Unser Kapitän ist nicht an Bord«, sagte der erste Matrose. »Er ist zu Gast bei eurer Fürstin, schon den fünften Tag, und das scheint sich noch ein bisschen hinzuziehen. Über einen Boten hat er uns nämlich zehn Tage Urlaub gegeben.«
»Wie schön für euch.« Honeybutt holte die Schnapsflasche aus dem Mantel. »Dann überreicht mein Geschenk dem Steuermann. Grüßt ihn von einer Bewunderin der Seefahrt und richtet ihm aus, dass ich morgen Nacht wiederkomme und er mir dann gern das Schiff zeigen darf. Ich bringe ihm dafür noch ein paar Flaschen dieses edlen Tropfens mit.«
Einer der Seeleute kam zu ihr auf den Landungssteg.
»Lass sehen.« Er nahm ihr die Flasche ab, betrachtete sie neugierig und entkorkte sie schließlich. »Das ist ja ein etherischer Tropfen, bei Wudan!« Im Schein
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