1713 - Carlotta und die Vogelmenschen
das Leben der Conollys nicht mit dem einer normalen Familie zu vergleichen ist.«
»Und was ist, wenn du eine Freundin hast?«
»Wäre toll, habe ich schon einige Male probiert. Aber die andere Seite ist immer irgendwie präsent. Damit zu leben kann ich keinem fremden Menschen antun, außerdem bin ich noch jung. Mal schauen, was mir noch alles über den Weg läuft.«
»Da denkst du wohl richtig. Mir ergeht es ja ähnlich. Nur eben in einer extremeren Form.«
»Genau das ist es doch, Carlotta. Und deshalb müssen wir mal ausbrechen und uns selbst beweisen. Finde ich jedenfalls. Wie du darüber denkst, weiß ich nicht, aber …«
Sie stieß ihn an. »Ich wäre nicht bei dir, wenn ich anders denken würde.«
»Ja, das stimmt. Daran habe ich nicht gedacht.«
»Dann wollen wir nur hoffen, dass wir es auch schaffen.«
Beide nickten sich zu, und ihre Blicke konnte man als verschwörerisch bezeichnen. Sie waren jetzt die Hauptpersonen und wollten sich auch als solche verhalten. Ihnen war zudem klar, dass sie keine Hilfe erwarten konnten, aber sie würden sich selbst wehren können, das trauten sie sich zu.
Unterwegs waren sie allein. Bisher hatten sie kein anderes Fahrzeug zu Gesicht bekommen. Und auch über ihnen in der Luft malte sich kein Schatten in der Dunkelheit ab. Verfolger hatten sie nicht gesehen und hofften, dass ihnen auch keine auf der Spur waren.
Der Zug war nicht mehr zu sehen. Er würde längst im Bahnhof von Dundee stehen. Dort würde man große Ohren bekommen, wenn die Wahrheit ans Licht kam. Ein Mensch war von diesen Vögeln geholt worden. Das musste erst mal erklärt werden, was schwierig genug sein würde.
Nichts Verdächtiges tauchte auf. Trotzdem waren die beiden nicht entspannt. In Sichtweite der steilen Bahnstrecke fuhren sie weiter, bis sie den Punkt erreichten, wo der Zug gehalten hatte und der Wald seinen Anfang nahm.
Die dicken Reifen des Wagens schafften jedes Hindernis und wühlten sich auch durch angewehten Schnee, dessen Oberfläche knirschte wie altes Glas, wenn es zerbröselte.
»Wie weit sollen wir noch fahren?«, murmelte Carlotta.
Johnny hob die Schultern. »Ich würde sagen, solange es das Gelände zulässt.«
»Willst du in den Wald?«
»Nur bis zum Rand.«
»Okay.«
Es gab einen schmalen Weg, den sie bisher hatten fahren können. Er führte auch auf den Wald zu, aber nicht in ihn hinein, denn er endete dort, wo die quer stehenden Bäume den Weg versperrten.
»Ende Gelände«, sagte Johnny.
Carlotta nickte nur. Sie rieb ihre Hände, warf Johnny einen längeren Blick zu und hob die Schultern.
»Was hast du?«
Sie winkte ab. »Ich darf gar nicht darüber nachdenken, auf was wir uns da eingelassen haben. Dann …«
Er legte ihr eine Hand auf die Schulter. »Tu es auch nicht. Wir ziehen das einfach durch.«
»Hoffentlich.«
Beide stiegen aus. Der leichte Nachtwind wehte über das Gelände und an ihren Ohren vorbei.
Vor ihnen lag der Wald. Schnee lag noch auf den Bäumen, und das Gelände machte auf sie einen abweisenden Eindruck.
Beide schauten sich die Umgebung an. Um sie herum war auch weiterhin Stille, und wenn sie zum dunklen Himmel schauten, war auch an diesem keine Bewegung.
Dass sie von den großen Vögeln nicht beobachtet und vor allen Dingen nicht angegriffen wurden, machte ihnen Mut, den Weg zu gehen, den sie gehen mussten.
Die Stelle, an der sie den Wald betreten wollten, konnten sie sich aussuchen.
Johnny machte den Anfang. Unterholz gab es kaum. Der Schnee war aber noch hoch. Er sackte unter ihrem Gewicht zusammen, wenn sie in die weiße Masse traten. Die Luft war klar und kalt. Vor ihren Lippen wehte der Atem, und bald darauf mussten sie sich ducken, um nicht von tief hängenden Zweigen gestreift zu werden.
Der Wald schluckte sie, aber sie blieben dennoch irgendwie in der Nähe des Randes. Wenn es hart auf hart kam, wollten sie einen kurzen Fluchtweg haben.
Es passierte nichts. In den nächsten Minuten blieben sie die einsamen Wanderer in der Natur, die sich allerdings veränderte, denn es fiel ihnen auf, dass die Lücken zwischen den Bäumen größer wurden, je tiefer sie in den Wald eindrangen.
Alles war anders geworden. Die Bäume wuchsen höher. Zweige und Äste erreichten nicht mehr die Tiefe wie sonst. Beide konnten sich aufrichten und normal bewegen.
Aus dem Wagen hatten sie eine Taschenlampe mitgenommen, die Johnny festhielt. Noch hatten sie die nicht gebraucht, und jetzt deutete er mit der Lampe in die Höhe.
»Das sieht ja gar
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