1716 - Assungas Hexensturm
ihre Lippen, dann richtete sie sich kerzengerade auf, als hätte sie einen Stock verschluckt und drehte ihren Kopf der Person zu, die so lässig am Auto lehnte.
»Verdammt, was war das?«
Die Blonde sagte: »Ich heiße übrigens Nora.«
»Okay, wie schön für dich. Aber das ist keine Antwort auf meine Frage.«
»Du musst doch wissen, was es gewesen ist. Denn du wolltest mein Blut trinken.«
»Ja, das stimmt.« Elaine kam einen Schritt näher. »Aber das ist nicht alles. Ich kenne mich aus, sehr gut sogar. Ich liebe das Blut der Menschen, ich brauche es, und du bist ein Mensch!«
»Meinst du?«
»Du siehst so aus.« Elaine lachte. »Auf meine Augen kann ich mich verlassen. Nur nicht auf dein Blut. Es war anders. Es war widerlich. Es war bitter wie Galle.« Sie schüttelte sich. »Ich musste es einfach wieder loswerden.«
»Und warum?«
»Frag nicht so dämlich!«, keuchte sie. »Es war nicht zu genießen. Ja, es war widerlich. So schmeckt das Blut eines Menschen nicht. Egal, ob Mann oder Frau.«
»Das mag sein. Aber so schmeckt das Blut der Hexen!«
Elaine war für wenige Sekunden still. Dann hatte sie sich wieder gefangen. »Was sagst du da?«
»Ich kann es dir auch einfacher machen. Ja, ich bin eine Hexe. Nicht mehr und nicht weniger …«
***
Elaine sagte nichts, obwohl sie alles gehört hatte. Sie stand auf der Stelle, starrte die Blonde an und schaffte es nicht, den Mund zu schließen.
Nora wartete und sah, dass Elaine den Kopf schüttelte.
»Kannst du es nicht glauben?«
»Ich – ich …«
»Du kannst es ja noch mal testen.« Nora deutete auf ihre verletzte Wange. »Los, nimm dein Messer. Schneide mir eine neue Wunde, dann kannst du noch mal trinken.«
Elaine lachte leise. »Nein«, flüsterte sie, »das werde ich nicht tun, denn ich trinke kein Gift.« Sie nickte Nora zu. »Du bist also eine Hexe. In deinem Körper fließt Hexenblut. Habe ich das alles richtig verstanden?«
»Ja, das hast du. Es ist dein Pech, dass du dir ausgerechnet eine Hexe ausgesucht hast. Aber nichts ist perfekt im Leben.«
Elaine sagte: »Es soll doch keine Hexen geben, wie ich gehört habe. Ja, das ist ein Märchen. Hexen gibt es nicht.«
»Sehe ich aus wie ein Märchen?«
Elaine lachte kratzig. »Aber auch nicht wie eine Hexe.«
»Das weißt du genau?«
»Ja.«
»Woher denn?« Nora breitete die Arme aus. »Jetzt sage mir nicht, dass du die Bilder aus den Büchern meinst, wo Hexen als alte Weiber mit krummen Nasen und Warzen darauf herumlaufen. Das ist Quatsch, das haben sich die Menschen ausgedacht. Ich habe auch nicht damit gerechnet, dass es Typen wie dich gibt. Bluttrinker, ohne dass ihr Vampire seid. Nein, das ist schon ungewöhnlich. Sogar mehr als das. Du bist nichts Halbes und nichts Ganzes. Kein Mensch, kein Vampir, eigentlich eine lächerliche Figur. Und jetzt bist du noch an die falsche Person geraten. Das muss dich doch völlig aus der Bahn werfen.«
Elaine hatte die Wahrheit gehört und sie auch in sich aufgesaugt. Aber sie vertraute ihren Kräften. Sie leicht ließ sie sich nicht ins Bockshorn jagen. Ihr Hunger war noch immer vorhanden, und die Nacht war lang. Sie würde schon noch ein Opfer finden.
Aber es war eine Schmach, von dieser Frau wie ein Kind abgefertigt zu werden. Wenn es ihr schon nicht gelang, das Blut zu trinken, weil es ungenießbar war, so wollte sie diese Unperson zumindest aus der Welt schaffen, denn die entsprechende Waffe hielt sie in ihrer rechten Hand. Sie warf einen Blick auf die Klinge, die an der Spitze noch eine rote Schliere zeigte.
Nora hatte sie nicht aus den Augen gelassen, so war ihr auch die Bewegung nicht entgangen. Mit halblauter Stimme sprach sie ihre Warnung aus.
»Ich an deiner Stelle würde nicht mal daran denken. Es kann nur schiefgehen.«
»Halt dein verdammtes Hexenmaul!«
Nora wechselte das Thema. »Wie heißt du eigentlich?«
»Warum willst du das wissen?«
»Reine Neugierde.«
»Ich bin Elaine. Jetzt weißt du, wer dich zur Hölle schicken wird. Denn da gehörst du schließlich hin.«
»Bestimmt nicht!«
»Doch, doch!«, spie Elaine aus. »Hexen gehören zum Teufel und damit in die Hölle.«
»Mach keinen Fehler. Bisher habe ich das alles hingenommen, aber meine Geduld hat irgendwann ein Ende. Und das ist so gut wie erreicht.«
Elaine lachte, denn sie hatte das Messer, und sie sah sich noch immer als die Stärkere an. Sie glitt auf Nora zu, die nach wie vor an der Autoseite lehnte. Das Messer blieb nicht ruhig. Es bewegte sich, es
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