1719 - Totenmarsch
konnte das geschehen?
Gregor stand nicht mehr am Fenster. Er hatte sich in sein Haus zurückgezogen, saß am Tisch, über dessen Platte das Licht einer Lampe fiel, und haderte mit sich und der Welt.
Für ihn war das Unmögliche wahr geworden. Er befand sich in einem Zwiespalt und hatte das Gefühl, als hätte sich plötzlich eine andere Welt geöffnet. Da war ein Tor aufgestoßen worden, das einem Menschen einen Einblick in eine andere Welt gewährte.
Es war nicht das Jenseits. Es war etwas anderes. Etwas Metaphysisches. Etwas, das hinter dem normalen Sehen und Erkennen eines Menschen lag. Lebende Skelette. Wenn überhaupt, dann gab es sie höchstens im Kino, aber nicht in der Wirklichkeit.
Trotzdem hatte er sie gesehen.
Und den Nebel!
Er war plötzlich vorhanden gewesen und hatte die Gestalten verschluckt. Und das innerhalb kürzester Zeit, und sie waren auch nicht mehr zurückgekehrt.
Aber wo steckten sie jetzt? Und wo befand sich der Nebel? Auch er war innerhalb von Sekunden verschwunden, und darüber musste der Geistliche nachdenken.
Mehrere Phänomene auf einmal. Ein Wahnsinn war das und etwas, das er allein nicht wieder gerade rücken konnte.
Wie viele seiner irischen Landsleute war auch er ein sehr gläubiger Mensch, noch eine Idee gläubiger als das normale Volk, sonst wäre er diesen Weg nicht gegangen. Er glaubte an den Himmel, an die Verklärung nach dem Tod, und er hatte anderen Menschen gegenüber auch nicht abgestritten, dass es eine Hölle gab.
Nur hatte er sie nicht konkretisieren wollen. Was man von früher her kannte, war ihm zu blöd gewesen. Das Feuer, in dem die Menschen ihre Restzeit verbrachten, nein, an das glaubte er nicht. Er hatte sich eigentlich keine konkreten Vorstellungen von der Hölle gemacht.
Nun aber, da er so allein in seinem kleinen Haus hockte, musste er diese Vorstellungen korrigieren. Es gab eine Hölle, und es gab etwas, das sie nicht für sich behalten hatte.
Es waren die Gestalten, die ihm ein Ständchen gebracht hatten. Eine andere Erklärung gab es nicht für ihn. Auch wenn es schwer war, sich mit dem Gedanken anzufreunden, er musste es tun.
Da hatte der Teufel eines seiner Höllentore geöffnet und seine Diener entlassen.
Es war furchtbar. Obwohl sich Gregor nicht sicher war, litt er unter seinem Wissen. Er wusste nicht, wie er sich verhalten sollte. Dass er die Skelette gesehen hatte, war eine Tatsache. Daran gab es nichts zu rütteln, doch es kam noch etwas hinzu. Er wusste nicht, ob er das Wissen für sich behalten oder es mit anderen teilen sollte.
Aber mit wem?
Er griff wieder zur Flasche und gönnte sich einen Schluck. Doch der Whisky schaffte es nicht, den schalen Geschmack aus seinem Mund zu spülen. Die Angst war da, auch wenn man ihm selbst nichts getan hatte.
Und er ging davon aus, dass dieses Spiel noch nicht beendet war. Es stand erst am Anfang. Die Skelette waren zwar verschwunden, jedoch nicht für immer. Davon musste er einfach ausgehen, was er auch tat, denn er rechnete mit deren Wiederkehr.
Das Haus, in dem er sich befand, war nicht sein Wohnhaus. Es gehörte der Kirche, denn der verstorbene Vorbesitzer hatte es ihr vermacht. Es stand nicht immer leer. Father Gregor hatte es zu einem Zufluchtsort für Asylanten gemacht, die er hin und wieder dort einquartierte, was bisher auch immer geklappt hatte.
Nun saß er in diesem Haus und wusste nicht mehr, wie es weitergehen sollte. Das Ereignis hier war jenseits allen Begreifens. Aber er ging davon aus, dass diese Gestalten sich nicht zurückgezogen hatten. Sie würden wiederkommen. Sie würden sich den Menschen zeigen und durch das Dorf ziehen.
Aber wer waren sie wirklich?
Diese Frage beschäftigte ihn und er fragte sich auch, ob sie einen Anführer hatten.
Wenn ja, dann kam nur einer infrage. Das war der Teufel. Egal, in welcher Gestalt er erschien.
Ja, der Geistliche glaubte wieder an den Teufel, und zwar stärker als sonst. Er hatte zu allen Zeiten stets seine Diener gefunden. Egal, ob es sich dabei um Menschen oder finstere Kreaturen handelte.
Draußen war es längst dunkel geworden. Wenn Gregor durch das Fenster schaute, sah er kein Licht. Auf der anderen Seite hätte er in der Ferne einen hellen Schein sehen können, der entstand, wenn im Dorf die wenigen Lichter angingen.
Er überlegte, ob er die Nacht hier im Haus verbringen oder zurück zu seiner eigentlichen Wohnung gehen sollte. Wenn die Sonne aufging und der neue Tag begann, wollte er einen Plan gefasst haben, was sich im
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