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172 - Der Sturm

172 - Der Sturm

Titel: 172 - Der Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Seidel
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gezerrt hatte. Aruula atmete auf, als sich der dichte Pflanzenbewuchs hinter ihr schloss und mehr als nur den Blick auf den Strand blockierte. Kein fliegender Sand mehr, keine Sturmböe, keine salzige Gischt.
    »Wudan sei Dank!«, murmelte sie. Gut eine Stunde wanderten die Gefährten durch den Mangrovenwald. Er war anders als die Wälder auf dem Festland. Die meisten Bäume wuchsen als dünne kahle Stämme in die Höhe, ohne Verästelung und mit kleiner Krone. Am Boden gab es ein natürliches Wegenetz; dazwischen wucherten Pflanzen mit riesenhaften Blättern. Hier und da schillerten exotische Blüten aus dem grünen Halbdunkel.
    Der Wald sah so gesund aus. Und so feucht!
    Ein nie verstummendes Konzert aus Quaken, Zirpen und Schnattern begleitete die beiden. Vögel ließen sich nicht blicken, man hörte nur ihre schrillen Schreie. Sie vermischten sich mit dem Rauschen des Windes in den Baumkronen.
    Yngve blickte stirnrunzelnd zu ihnen hoch.
    »Es nimmt wieder zu!«, sagte er. Aruula sah ihn verständnislos an, und er erklärte: »Das Heulen! Da ist ein Geräusch im Wind… ich weiß nicht. Es klingt nach Verderben. Und sieh dir mal die Bäume an, wie sie sich biegen. Das haben sie vorhin nicht getan.«
    Aruula winkte ab. »Der Sturm ist vorbei! Er hat sich gestern ausgetobt. Was jetzt noch kommt, sind kümmerliche Reste. Du merkst doch, sie schaffen es nicht mal bis zum Boden. Warte! Wo willst du hin?«
    Yngve hatte den Weg verlassen und stapfte durch dichten, brusthohen Pflanzenbewuchs. Mittendrin stand ein toter Baum, der nur noch an den Zweigen oben als solcher zu erkennen war. Den Rest hatte ein Blätterpilz überwachsen. Yngve strich mit der Hand über die tellergroßen Hüte. Sie waren zäh wie Gummi.
    Ein Pfeil steckte im schwarz verrotteten Pflanzenrund wie auf einer Zielscheibe. Yngve zerrte ihn heraus, roch an der Spitze und fuhr zurück, als ihm beißender Gestank in die Nase drang.
    »Vergiftet?«, fragte Aruula, die ihm gefolgt war.
    »Gut möglich.« Yngve warf den Pfeil weg und kehrte um. »Aber das ist nicht das Entscheidende. Wichtiger ist: Hier lebt jemand – und ich habe diese Möglichkeit nicht in Betracht gezogen!« Er schüttelte den Kopf. »Wie konnte mir solch ein Fehler passieren?«
    »Die Hitze ist schuld.« Hinter ihm zog Aruula das Schwert und hieb die von Yngves Schultern auf sie zu schnellenden Pflanzen weg. Ihr Körper war jetzt schon von blauen Flecken übersät; sie hatte keine Lust auf weitere. »Ich habe daran gedacht – und es wieder vergessen. Es ist so schwül und so stickig! Ich will nicht denken. Ich will in kaltes Wasser tauchen.«
    Der blonde Mann blieb stehen, als ein Stück weiter vorn silbernes Glitzern zwischen den Pflanzen auftauchte. Lächelnd drehte er sich um und sagte: »Die Götter lieben dich, schöne Kriegerin! Hier hast du dein Wasser!«
    Aruula und ihr Gefährte waren auf eine der zahllosen Wasserstraßen gestoßen, die den Mangrovenwald durchzogen. Viele von ihnen waren schiffbar. Diese hier nicht. Sie floss ruhig dahin, keine zehn Meter breit und so flach, dass man im klaren Wasser jeden Kiesel sehen konnte. Die Barbarin schleuderte ihr Schwert ans andere Ufer und kniete sich hin, um ihren Durst zu löschen. Sie überlegte, ob sie die Kleidung ablegen sollte, entschied sich dagegen und hechtete ins Wasser. Es war alles andere als kalt, aber es erfrischte dennoch. Aruula tauchte ein paar Mal unter, ließ sich Meersalz von der Haut und Sand aus den Haaren spülen. Sie fragte sich gerade, ob dies nicht ein guter Rastplatz wäre, als Donner durch den Wald grollte.
    Yngve hielt ihr die Hand hin.
    »Weg hier!«, sagte er nur. Der Himmel über dem Wasser hatte sich dunkel bewölkt. Da war ein Rauschen in den Baumkronen, laut wie die Wellen auf See. Blitze zuckten.
    Aruula und Yngve wateten ans Ufer. Die Barbarin packte ihr Schwert, dann floh sie vor dem nächsten krachenden Donner in den Wald. Heulen und Tosen begleiteten sie. Die Bäume bogen sich nicht mehr, sie wurden gestoßen – ruckartig und mit solcher Wucht, dass manche von ihnen bedrohlich zu knirschen begannen.
    »Wir müssen einen sicheren Unterschlupf finden!«, rief Yngve. Er wusste nicht, wie Recht er hatte, als er hinzufügte: »Dieser Sturm ist noch nicht überstanden! Da kommt noch was nach!«
    Wenig später gelangten die Gefährten an einen Ort des Unheils. Man sah es ihm nicht an, denn die Schneise des Todes hatte fünfhundert Jahre Zeit gehabt, sich wieder aufzuforsten. Das Flugzeug an ihrem

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