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172 - Der Sturm

172 - Der Sturm

Titel: 172 - Der Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Seidel
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gepeitscht über die zerfallenen Dächer fuhr.
    Inzwischen war ein neuer Tag angebrochen. Daa'tan erwachte an Grao'sil'aanas Schulter, weil jemand gegen seinen Stiefel stieß. Widerwillig schlug er die Augen auf.
    Der Junge brauchte einen Moment, um sich zu orientieren und das Bild zu verdauen, das sich ihm bot: Er war zur Hälfte unter Flugsand begraben. Ringsum hockten die Seeleute. Ravi Shan hatte zerknickte Palmwedel eingesammelt und versuchte gerade ein Feuer zu entfachen. Am Boden lag ein fetter Fisch.
    Der Seemann zwinkerte Daa'tan zu. »Die Götter haben dir einen wahrlich gesegneten Schlaf geschenkt!«, sagte er und wies mit dem Flintstein nach oben. Eine zersplitterte Baumkrone lag auf dem Dachgerüst. Über ihr toste der Wald.
    Daa'tan befreite sich aus dem Sand und sprang auf.
    »Habe ich was verpasst?«
    Ravi Shan lachte. »Einen schrecklichen Sturm und eine Nacht der Angst, weiter nichts!« Er wandte sich an Grao'sil'aana, der kurz eingenickt war und hochfuhr, als Daa'tan seinen Platz verließ. »Fühlst du dich besser, Grao Sahib? Du bist jetzt auf festem Boden, da wankt und schaukelt nichts mehr.«
    Ravi Shan packte den Fisch und schwenkte ihn vor dem grobporigen Gesicht des getarnten Daa'muren herum. Er meinte es gut. »Sieh nur, was ich am Strand gefunden habe! Ein dicker Brocken, der trieft vor Fett! Schön, er ist wahrscheinlich schon etwas länger tot, aber wenn man ihn ordentlich brät… wo willst du hin, Grao Sahib?«
    Daa'tan grinste, als der Daa'mure würgend und graugesichtig zur Tür stolperte. Man hörte, wie er sich draußen übergab, das verdeckten auch die tosende Brandung und der Wind nicht.
    Ravi Shan schaute betreten auf seinen Fisch. »Tut mir Leid«, murmelte er.
    Daa'tan winkte ab. »Schon gut! Mein Bewa… mein Onkel verträgt die Seefahrt nicht, da kann man nichts machen. Wann fahren wir weiter?«
    Der Zwölfjährige sah, wie sich die Männer versteiften und düstere Blicke tauschten. Der Käpt'n bedeckte seine Augen mit der Hand. Ratlos wandte sich Daa'tan an Ravi Shan.
    »Komm mal mit!«, sagte der und winkte ihn zur Tür.
    Wind schlug Daa'tan ins Gesicht, als er ins Freie trat.
    Das Schiff hatte sich gestern Abend losgerissen und war abgetrieben. Ravi Shan erklärte, warum man es nicht suchen brauchte. Es war verloren, dafür gab es einen unwiderlegbaren Beweis: Hunderte kleiner Bäume trieben im seichten Wasser.
    »Wir müssen sie retten!«, rief Daa'tan erschrocken und spurtete los.
    Ravi Shan fing ihn am Kragen ab. »Halt! Hier geblieben! Das ist viel zu gefährlich! Die Flut kommt, da haben kleine Jungen am Strand nichts zu suchen.«
    Daa'tan fuhr herum. Seine Augen waren zu Schlitzen verengt, und sie funkelten wie polierte Smaragde.
    »Ich bin kein kleiner Junge!«, knurrte er dumpf.
    Eine Hand legte sich auf Ravi Shans Schulter. »Lass ihn gehen!«, befahl Grao'sil'aana und zog den widerstrebenden Seemann in die Hütte zurück.
    Daa'tan rannte davon. Er war erstaunt, dass sich sein Bewacher so großzügig gezeigt hatte, doch er dachte nicht lange darüber nach. Es gab so viel zu tun, zu sehen – und zu erleben!
    Beim Überqueren des breiten Strandes lief Daa'tan mit räuberischem Meeresgetier um die Wette, das sich bei einsetzender Flut in sein Element zurück zog. Blaurote Winkerkrabben klickerten davon, seitlich und mit drohend erhobener Schere. Da war ein Pulk knarrender, stacheliger Fische. Als Daa'tan heran kam, flohen sie auf verhornten Flossen. Die Reste eines Seevogels blieben zurück.
    Der Strand war übersät von Treibgut. Zwischen Balken, Fässern und Kisten schwabbelte eine Riesenqualle, fahl und sterbend. Daa'tan trat auf ihren zerplatzenden Rand und flog der Länge nach hin. Er fluchte, denn er hatte es eilig, an die Dünung zu kommen: Im knietiefen Wasser schlingerte ein menschlicher Körper mit dem Rücken nach oben. Er trug die typische Kleidung der Piraten!
    Daa'tan stapfte durch schäumendes Wasser zu ihm hin und bückte sich. Ächzend drehte er den Toten um – und ließ gleich wieder los. Der Mann hatte kein Gesicht mehr.
    Dafür wimmelte es in den Wellen unter ihm von Schnappwürmern, den Leichenfledderern der Midaa-See.
    Daa'tan zog ein Piratenmesser aus dem Gürtel des Fremden und machte sich mit seiner Trophäe auf den Weg zu den Setzlingen.
    Einen nach dem anderen zerrte er die kleinen Bäume an Land und schleppte sie hinauf zu den Steinhütten, um sie dort im Schutz der Mauern einzugraben. Es war harte Arbeit, besonders in dieser Hitze.

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