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172 - Der Sturm

172 - Der Sturm

Titel: 172 - Der Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Seidel
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Ende, ein verschollener Linienflug aus dem Jahre 2003, war von wuchernden Blätterpilzen überzogen. Der Pilot hatte damals versucht, seine Passagiere vor dem Verbrennen zu retten, indem er vor der Bruchlandung den Treibstoff abließ. Es war ihm gelungen – mehr aber nicht. Die Boeing 737 lag in Schräglage; ihre linke Tragfläche berührte zerschmettert den Boden, die andere ragte wie eine Rampe in den Wald.
    Staunend betrachtete Yngve die gigantische Blätterpilz-Kolonie. Ihre Form erinnerte an einen Vogel.
    Allerdings hatten Vögel keine Reihe Löcher im Leib und keine gläserne Haut darüber.
    »Es ist ein Tempel!«, entschied der Krieger, als er nahe genug heran war, um die Opfergaben zu entdecken.
    Das Flugzeug war bei der Landung durch den Boden gepflügt und hatte dabei die vordere Tür und ein Stück der Bordwand verloren. Vor diesem klaffenden, gezackten Loch lagen Knochen auf dem Waldboden, bunte Steine und Federn. Dazwischen hatte jemand Blütenstängel dicht an dicht in die Erde gesteckt. Es sah aus wie kleine Kränze.
    Aruula achtete die Göttergeschenke, ließ sich jedoch von ihnen nicht zurückhalten. Sie stieg auf Zehenspitzen über Blüten und Steine hinweg, um einen Blick ins Innere des angeblichen Tempels zu werfen. Dann drehte sie sich um. Ihr langes Haar wallte im Wind, als sie Yngve zurief:
    »Das ist eine Maschine aus Madd… aus einer anderen Zeit.«
    Aruula sah, wie sich die Miene des Kriegers verdüsterte. Sie hatte ihm einiges von ihrem (vermeintlich) verstorbenen Geliebten erzählt. Für Yngve waren es wundersame Geschichten gewesen; von etwas, das Tekknik hieß und zaubern konnte, von Fliegenden Augen (Kolkraben mit implantierter Kamera) und so genannten Shuttles , die sich durch die Luft bewegten. Bis hoch zu den Sternen! All das war Maddrax gut vertraut, während Yngve bis dahin nicht einmal davon gehört hatte. Man merkte ihm an, dass er Aruulas Ex-Gefährten irgendwie nicht mochte.
    Doch das spielte im Moment keine Rolle. Hier und jetzt ging es nur ums Überleben, das wurde auch dem Krieger aus Noorweje wieder bewusst, als nicht weit entfernt ein im Sturm berstender Baum herunter rauschte. Yngve spurtete über die Blütenkränze zum Eingang der Boeing. Hinter ihm wirbelten Zweige und Blätter durch die Luft.
    Im Flugzeug war es schwül und heiß. Kondenswasser hing in dicken Tropfen an der Decke, die Sitze waren verrostet und modrig. Verfaulte Kleidungsreste klemmten unter den Sicherheitsgurten; hier und da ragte ein Schädel zwischen ihnen auf. Vor den meisten Plätzen standen Schuhe.
    Der Tod hatte selbst im Frachtraum Ernte gehalten: Aruula entdeckte zwischen zerfallenen Kisten und Koffern einen rostigen Käfig. Darin lag das Skelett eines Hundes.
    Es war ein schrecklicher Ort, der nicht zum Bleiben einlud, doch Aruula und Yngve hatten keine Wahl.
    Sturmböen fegten durch den Mangrovenwald, heulend und in immer kürzeren Abständen. Sie rissen die Pflanzen ringsum gleich büschelweise aus und brachten das sechzig Meter lange alte Flugzeug zum Beben.
    »Bei allen Göttern!«, stöhnte Aruula, während sie das Cockpit betrat. »Wenn dieser verfluchte Wind doch wenigstens etwas Abkühlung bringen würde!« Sie wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Was tust du da, Yngve?«
    Der Krieger hatte sich in den Pilotensitz gezwängt. Er schien fasziniert von den Schaltern und Anzeigen, die ihn umgaben. Neugierig berührte er ein paar Kipphebel.
    Sie fielen zu Boden, einer nach dem anderen. Yngve umfasste das Steuer. Es zerbrach, und das Lächeln des Kriegers erlosch.
    Aruula legte ihm eine Hand auf die Schulter.
    »Diese Dinge sind alle tot«, sagte sie ruhig. »Sie sind nur noch an ihrem Platz, weil kein Wind an sie heran kommt, um sie zu verwehen.«
    Yngve nickte. »Dafür weht er draußen umso stärker!«
    Er zeigte auf die zerkratzte, halb blinde Frontscheibe. Sie wäre längst heraus gefallen, hätten sich die Blätterpilze nicht über der Fassung ausgebreitet und sie mit einem soliden Wurzelgeflecht durchzogen. Flappend ragten die braunen Pilzhüte ins Sichtfeld.
    Ein ganzes Stück vor der Maschine erhob sich ein Wall aus Pflanzen. Der Wind hatte Zweige und Äste dagegen getrieben. Der Sturm warf alles um. Aruula und Yngve ruckten hoch, als sie sahen, was dahinter lag.
    Waldhütten. Kleine Gatter, ein Gestell zum Ausweiden. Geschälte Pfähle, fest in den Boden gerammt. Fischernetze hingen daran, mit allerlei Trophäen besteckt. Obenauf waren Schädel gespießt.
    Menschliche

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