1721 - Verschwunden in der Höllengruft
angesprochen worden und hätte auch gern geantwortet, doch das schaffte sie nicht, denn dieser Anblick hatte alles verändert. Ein dicker Kloß saß in ihrem Hals, der Druck im Magen war ebenfalls vorhanden, und aus ihrem offenen Mund drang ein Stöhnen.
»Warum sagst du nichts?«
Sie schüttelte den Kopf. Dann öffnete sie den Mund, aber sie brachte nichts hervor.
Dafür sprach Simon Cooper. »Es war mein Abschiedsbesuch hier. Ich wollte noch mal alles sehen, dich inklusive. Ich wäre schon ins Schlafzimmer gekommen, um …«
Ellen sprach mitten in die Erklärung hinein. »Du bist verbrannt worden, nicht wahr?«
»Ja, das bin ich.«
»Dann musst du zu einem Arzt gehen, Simon. Es gibt heute so wunderbare Methoden, durch die ein Mensch wieder hergerichtet werden kann. Du musst dir wirklich keine Sorgen machen, das schaffen wir.«
Simon schüttelte den Kopf. Ellen wunderte sich, dass keine Hautreste abfielen.
»Nein, ich werde keinen Arzt aufsuchen. Ich werde so bleiben, wie ich bin. Ich habe mir das selbst eingebrockt, und ich weiß das Schicksal zu tragen.«
Ellen schluckte. Das Blut stieg ihr in den Kopf, und sie erlebte einige Hitzewellen. »Heißt das, du – du – willst einfach wieder verschwinden?«
»Ja, das heißt es. Ich verschwinde, ich tauche ab, und das für immer, Ellen.«
Sie wusste genau, dass es ihm ernst damit war, und er stand schon auf.
»Bitte, das kannst du doch nicht machen …«
»Ich muss es tun, Ellen.«
»Aber die Ärzte, die …«
»Lass sie Ärzte sein und bei anderen Menschen Gutes tun. Ich muss meinen Weg gehen. Daran gibt es nichts zu rütteln. Aber ich kann dir sagen, dass ich dich liebe und ich dich nie vergessen werden. Lebe wohl, Ellen.«
Das glaube ich nicht, dachte sie. Das ist ein Traum. Das ist verrückt, ich wache gleich auf und sehe, dass alles wieder normal geworden ist …
Es war kein Traum, denn Simon ging an ihr vorbei und berührte sie einmal kurz an der Wange. Es war wie ein sanfter Abschied, dann war er an der Tür und zog sie auf.
Ellen spürte einen kühlen Luftstrom über ihren Nacken fließen. Es war wie ein letzter Gruß, aber er sorgte zugleich dafür, dass sie ihre Starre verlor.
Sie sprang auf!
Was bin ich doch nur für eine Idiotin. Ich habe ihn einfach gehen lassen. Ich hätte ihn zurückhalten müssen, sogar niederschlagen und der Polizei Bescheid sagen.
Was habe ich stattdessen gemacht?
»Scheiße!«, schrie sie, und ab jetzt hielt sie nichts mehr in der Küche. Sie sprintete in den Flur und rannte auf die Haustür zu, die halb offen stand.
Ellen riss sie ganz auf. Für einen Moment blieb sie stehen und schaute dabei nach draußen. Sie wusste nicht, in welche Richtung ihr Mann gelaufen war. So schaute sie nach rechts und dann nach links.
Dort lief er.
Und da stand auch der dunkle Rolls-Royce, in den er einstieg. Jemand hielt sogar die Tür auf.
Sie hatte an eine Verfolgung gedacht, aber das war jetzt vorbei. Nie würde sie den Wagen einholen können, der allerdings jetzt in ihre Richtung fuhr.
Sie dachte daran, sich vor das Auto zu werfen und den Fahrer so zum Halten zu zwingen. Allerdings war sie nicht sicher, ob er das tatsächlich tun würde.
Ellen Cooper wollte sich nicht damit abfinden, dass sie ihren Mann verloren hatte. Plötzlich schoss ihr ein Gedanke durch den Kopf. Hinter ihr im Flur stand der kleine Tisch mit dem Telefon darauf. Und neben dem Apparat lag auch ihr Handy, das zugleich ein Fotoapparat war.
Eine Sekunde später hielt sie den schmalen Apparat in der Hand. Der Rolls-Royce fuhr genau in diesem Augenblick an ihrem Haus vorbei. Sie kümmerte sich nicht darum, wer darin saß, sie hatte sich hingehockt und knipste.
Immer wieder drückte sie auf den Auslöser. Zweimal erwischte sie den Wagen von der Seite. Die nächsten Fotos schoss sie vom Heck. Da er an einer Laterne vorbeifahren musste, wurde auch die Rückseite für einen Moment erhellt.
Dann war der Wagen weg, und Ellen Cooper stand mit zitternden Gliedern auf. Sie konnte nichts sagen. Sie schaute ins Leere. Durch ihren Kopf wirbelten Gedanken, war ein großes Durcheinander. Sie spürte noch immer die Weichheit in ihren Knien und war froh, sich abstützen zu können.
Wie lange sie an der offenen Tür gestanden hatte, wusste sie nicht. Sie hatte nur ins Leere geschaut, aber irgendwann spürte sie die Kälte, die durch den Stoff ihres Schlafanzugs drang, und sie ging ins Haus.
Als die Tür hinter ihr ins Schloss fiel, klang das so schrecklich
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