1722 - Abrutians Boten
„Ich soll dir also erklären, worum es geht, Fremder? Nun gut... Die Quesch haben eine halbe Ewigkeit darauf verwandt, diese Horchtürme zu erbauen. Sie stellen so etwas wie lenkbare Fenster in den Hyperraum dar. Eine hochempfindliche Matrix, die niemals von fremden Elementen gestört werden darf. Wir sind vielleicht kein zweites Mal imstande, diese Matrix zu errichten."
Piior nutzte einen unkonzentrierten Augenblick, um Saedelaere und Ouidane zu überrumpeln. Diesmal steckte allerdings kein Angriff dahinter.
Vielmehr schilderte er in eindringlichen Gedankenbildern das Wesen der Quesch.
Demnach stellten diese einen mutierten Zweig der Barrayd dar, der sich vor langer Zeit, noch vor der Auswanderung ins ASYL, abgespalten hatte.
Die Fähigkeit der Quesch lag darin, die Materie des eigenen Körpers aufzugeben. In diesem Zustand vermochten sie sich durch die Matrix des Horchturms zu bewegen. Das, was Saedelaere nur von unten sah, erforschten sie in körperlosem Zustand aus der Nähe.
Piior kam dabei die Aufgabe zu, alle Erkenntnisse zu sammeln und in verständliche, verwendbare Bilder umzusetzen. Nur der erfahrenste aller Quesch kam für diese Aufgabe in Frage. Und das war zum Ende dieser Generation Piior.
Ihren Körper benötigten sie nur noch zur Fortpflanzung, manchmal auch, um mit den normalen Barrayd, vorzugsweise mit dem jeweiligen Regenten, Kontakt aufzunehmen.
Vergangenheit, rund zwei Millionen Jahre...
Als sich die Quesch mit den normalen Barrayd im ASYL ansiedelten, erkannten sie die Notwendigkeit, ihrer Rasse eine bestimmte Art von Weltanschauung zu vermitteln. Die Barrayd brauchten eine neue Mentalität. Ein Volk, das den umfassenden Krieg gewöhnt war, konnte nicht einfach verschwinden und alles vergessen, was damit zusammenhing.
Die Quesch erkannten, daß sie ihr Volk belügen mußten. Allein sie waren geeignet, die geistige Führerschaft zu übernehmen. Nicht aus Eigennutz, sondern um das Wohlergehen aller zu sichern.
Das ist nicht möglich...
Saedelaere spürte, wie Ouidane neben ihm zu zittern anfing. Er wußte jedoch, daß er ihr nicht helfen konnte, daß sie die Gedankenbilder aus eigener Kraft verarbeiten mußte.
„Weiter, Piior!"
Wie gebannt folgte er dem Kaleidoskop, das der Geisteslenker vor seinem inneren Auge entrollte.
Die neue Zentralwelt der Quesch und Barrayd wurde Yolmor, im Dolphor-System. Dort erfanden sie die Legende von Utiekk und Abrutian. Ihren zentralen Wissensspeicher richteten die Quesch in Utiekks Turm ein; dort, wo ihn kein normaler Barrayd erreichen konnte. Sie glaubten zu keiner Zeit selbst an das Märchen einer „Weltformel", die sie zu Utiekks Hilfe errechnen wollten. Doch mit purem Faktensammeln, wie es die Geisteslenker für richtig hielten, wären die Barrayd nicht bei der Stange zu halten gewesen.
Jahrhunderttausende vergingen. Die Zivilisation der Barrayd geriet aller Mühe zum Trotz auf einen absteigenden Ast, den selbst die Quesch nicht mehr aufwärts biegen konnten.
Am Ende war es ein Zufall, der ihnen zu Hilfe kam: Unter den besonderen Bedingungen des Nihhat-Nebels entstand eine zweite Mutationsform ihres Volkes. Es dauerte lange, bis der tiefere Sinn jener kaum lebensfähigen, scheinbar hilflosen Geschöpfe erkannt wurde. Die Barrayd hatten Immune hervorgebracht; als späte Reaktion auf die Bedrohung in der Heimat.
Von diesem Augenblick an trat die Suche nach der Weltformel in ein neues Stadium. Sie alle hatten endlich ein Ziel, an das sie glauben und für das sie arbeiten konnten. Phoor-Jäger erkundeten den toten Kosmos, und die Quesch etablierten sich als Verwalter ihres Wissens.
Eine Mischung aus Religion und Wahrheit erhielt ihnen zwei Millionen Jahre lang die Herrschaft. Mit ewiger Geduld formten sie ein Kriegergeschlecht in ein Volk der Denker um.
„Und all das", so fügte Piior laut hinzu, „konnte nur funktionieren, solange nie ein Barrayd die Türme betritt. Niemand durfte die Wahrheit herausfinden. Die Quesch haben sich immer verborgen, um ihren eigenen Mythos zu schaffen. Heute leben wir in einer langen, wertvollen Tradition.
Sie ist das Wertvollste, was wir Quesch besitzen. Wir sind es, die horchen. Wir sorgen dafür, daß niemals ein Fremder unser Geheimnis erfährt.
Selbst wenn ich etwas daran hätte ändern wollen, ich hätte es nicht gekonnt. Erst euer Auftauchen verändert die Lage."
Saedelaere brauchte ein bißchen, bis er die Geschichte verdaut hatte.
Am Ende paßte alles zusammen.
Hilf mir! Ich kann es nicht
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