1722 - Flucht in die Finsternis
etwas ändern. Die Stadt bleibt hart, und es kommen immer mehr Menschen.«
»Auch illegale?«, fragte ich.
»Sicher.«
»Und diejenigen, um die es jetzt geht, sind die auch illegal?«
»Drei Geschwister. Zwei Frauen und ein Mann. Der Rest der Familie. Die Eltern sind auf der Flucht aus Ruanda umgekommen, wie, das kann ich Ihnen nicht sagen, weil die Menschen darüber nicht reden.«
»Das ist verdammt traurig«, meinte Suko. »Wie sieht es denn mit der Sprache aus?«
»Sie sprechen eine Mischung aus Englisch und Französisch, man kann sie verstehen.«
»Das ist gut.« Suko lächelte. »Dann können wir – oder?«
»Sicher.«
Wir betraten das Haus, das uns am nächsten lag. Die Tür stand offen, das heißt, es gab keine mehr. Man hatte sie aus der Verankerung gerissen und für andere Dinge gebraucht.
Als wir das nicht eben saubere Haus betraten, zog ein bestimmter Geruch in unsere Nasen. Jean bemerkte, dass wir schnüffelten, und gab eine Erklärung ab.
»Hin und wieder fühlt sich jemand berufen, hier ein wenig zu zündeln. Da kann man nichts machen. Es helfen auch keine guten Worte, die Menschen sind einfach frustriert. Ihnen wurde in den Heimatländern alles möglich versprochen, und jetzt müssen sie erleben, dass es auch hier ein Elend gibt.«
»Und Sie tun etwas dagegen?«
Katanga hob beide Hände. »Ich versuche es. Aber es ist sehr schwer, sage ich Ihnen.« Auf Einzelheiten ging er nicht ein, sondern führte uns die Treppe hoch.
»Keine Sorge, wir müssen nur bis in den zweiten Stock.«
»Okay.«
Die Stufen waren ebenso wenig sauber wie das Geländer. An den Wänden sahen wir Schmierereien, die meisten mit Kommentaren versehen, die sich über die bescheidene Lage beschwerten. Man konnte es den Leuten nicht mal verdenken.
In der zweiten Etage gerieten wir in einen Flur, der recht düster war und in dem es auch stank. Wir gingen einige Meter in den Schlauch hinein und wurden von den Menschen angestarrt, die ihre Zimmer verlassen hatten und jetzt vor den Türen standen. In der Regel waren es Männer, aber auch Kinder, kleine Jungen. In deren Blicken las ich noch so etwas wie Hoffnung und Neugierde. Bei den Erwachsenen war das nicht der Fall. Da konnte man nur von einer Stumpfheit sprechen.
Jean Katanga enthielt sich eines Kommentars. Er blieb vor einer geschlossenen Tür stehen und flüsterte: »Ich hoffe, es wird geöffnet.«
»Warum sollte es nicht der Fall sein?«, fragte ich.
»Nach dem, was passiert ist, sind die Menschen hinter der Tür sehr misstrauisch.«
»Kein Wunder.«
»Sie sagen es, Suko.«
Jean klopfte mehrmals, und der Rhythmus kam mir vor wie ein Morsezeichen, das auch gehört wurde, denn wir vernahmen eine Stimme.
Katanga antwortete.
»Und?«, fragte ich.
»Sie werden öffnen.«
Er behielt recht. Tatsächlich bewegte sich die Klinke, dann wurde die Tür behutsam aufgezogen, und Jeans Mund verzog sich zu einem breiten Lächeln.
Er sprach Französisch. »Dürfen wir eintreten?«
Die Tür öffnete sich.
Mit einer Kopfbewegung forderte Katanga uns auf, ihm zu folgen, was wir auch taten.
Im Laufe der Jahre hatten wir das Leben wirklich in all seinen Facetten kennengelernt. Wir kannten den Pomp, den Glanz, der oft unecht war, aber wir kannten auch die andere Seite, und damit wurden wir an diesem Tag konfrontiert.
Es war nur ein Zimmer, das sich die Menschen teilen mussten. Drei Pritschen als Betten, ein alter Schrank, ein wackliger Tisch, ein Waschbecken hinter der Tür. So sah die Einrichtung aus.
Und es gab die drei verängstigten Menschen. Zwei junge Frauen und ein Mann. Er hatte uns die Tür geöffnet und humpelte jetzt zu einem Bett oder seiner Pritsche zurück. An seinem rechten Bein war ein schmutziger Verband zu sehen. Das Hosenbein dort hatte er abgeschnitten.
Auch die Frauen waren verbunden. An den Armen, auch an der Hüfte. In ihren Blicken lag die Erinnerung an das, was sie hinter sich hatten. Starke Angst. Dieses Gefühl würde bei ihnen wohl nie mehr verschwinden, den Rest ihres Lebens nicht.
Jean Katanga hatte mit uns zusammen das Zimmer betreten. Er öffnete das Fenster, damit wenigsten etwas frische Luft eindrang. Die drei Menschen sahen ängstlich zu. Er sprach auf sie ein und beruhigte sie.
Auf dem Tisch standen drei Tonschalen. Sie enthielten Essen. Einige Orangen und etwas Reis.
Katanga bat Suko und mich, erst mal im Hintergrund zu bleiben, was wir auch taten. Wir überließen ihm das Feld. Er stellte sich zwischen die Betten und sprach mit
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