1724 - Die Heilige der Hölle
Winter bereit war, die Seiten zu wechseln. Das mussten wir auf jeden Fall verhindern. Sie durfte sich auf keinen Fall in den Bann ziehen lassen, und deshalb war ich froh, dass Suko in ihrer Nähe stand. Überhaupt wirkte unser Auftreten auf mich wie eine Szene im Schauspiel. Die Seiten waren abgesteckt, jeder wartete auf das Zeichen des Regisseurs, dass es weitergehen sollte. Da konnten wir lange warten, wir mussten schon selbst etwas unternehmen.
Ich beschloss, Godwins Rat zu befolgen, auf die Figur zu schießen. Es war allerdings möglich, dass die geweihte Silberkugel an der Gestalt abprallte, doch einen Versuch war es wert.
Deshalb zog ich die Waffe, wechselte sie praktisch gegen meine Leuchte aus.
Ob Asmodis das mitbekam, sah ich nicht. Mein Freund Godwin hatte es gesehen und nickte, weil er einverstanden war.
Ich hob den Arm.
In diesem Augenblick passierte es. Ein neuer Akteur betrat die Bühne. Wir hatten in der letzten Zeit wenig auf Pater Gerold geachtet. Er hatte sich mehr im Hintergrund gehalten.
Jetzt nicht mehr. Es begann mit einem Schrei, der in unseren Ohren gellte. Dann sahen wir ihn laufen. Er hatte es geschafft und sich an die uns gegenüberliegende Seite des Brunnens geschlichen. Was er vorhatte, lag auf der Hand.
Ich wollte ihn durch einen Schrei zurückhalten, doch es war leider zu spät, da stand er schon auf dem Brunnenrand. Auch Suko konnte ihn mithilfe seines Stabs nicht mehr stoppen. Dafür hörten wir einen nächsten Schrei, und dann warf sich der Pater nach vorn.
Er fiel bäuchlings in das Wasser – oder was immer es war – und verschwand in der Tiefe …
***
Ja, wir waren geschockt. Auch das gab es. Obwohl wir zu dritt waren, hatten wir es nicht geschafft, ihn zu stoppen, und jetzt war er nicht mehr zu sehen.
Dafür lachte Bettina durch den Teufel. »Es ist einfach perfekt. Er will büßen. Er fühlt sich schuldig. Das weiß ich. Ja, das weiß ich sehr genau. Er will nicht als Einziger übrig bleiben, wo ich doch seine Mitbrüder verbrannt habe. Jetzt ist er bei mir …«
Das folgende grauenvoll klingende Lachen zerrte an unseren Nerven, aber wir mussten den Tatsachen ins Auge sehen. Pater Gerold war in den Brunnen eingetaucht. Er war bereit, das Schicksal auf sich zu nehmen, das auch der Heiligen der Hölle widerfahren war. Es war auch der Augenblick, an dem wir an unsere Niederlagen dachten und wieder mal die Macht der Hölle erleben mussten.
Jeder von uns schaute auf die Flüssigkeit. Ich nahm meinen Herzschlag überlaut wahr. Aber auch meine stillen Flüche nutzten nichts. Ich hatte verloren, die andere Seite war stärker gewesen, und im Moment sahen wir keine Chance, etwas zu verändern.
Die Frau auf dem Stein hatte sich nicht bewegt. Sie stand da und genoss, während wir uns fragten, ob der Pater wieder auftauchte.
Ich hatte das Gefühl, mein Kopf würde platzen. Es war eine schlimme Niederlage, die wir hatten hinnehmen müssen, denn keiner von uns glaubte daran, dass der Pater lebend wieder aus dem Brunnen klettern würde.
Das Wasser hatte beim Eintauchen des Mannes Wellen geworfen, die jetzt allmählich ausliefen. Sarah Winter, die ebenfalls alles mitbekommen hatte, war dicht an den Brunnen herangetreten. Allerdings nicht allein. Suko stand hinter ihr und hielt sie fest.
Ich bezweifelte jetzt, dass es Sinn hatte, es mit einem Schuss zu versuchen. Wenn der Teufel hier Regie führte, dann war er gefeit gegen geweihte Silberkugeln, das hatte ich leider schon oft genug erleben müssen.
Deshalb nahm ich davon Abstand, denn das flüssige Zeug bewegte sich wieder. Es warf erneut Wellen, die jedoch einen anderen Ursprung hatten. Etwas war in der Tiefe des Brunnens in Bewegung geraten und sorgte dafür, dass seine Kraft die Oberfläche erreichte und dort wieder Wellen produzierte. Sogar das schwere Klatschen war zu hören, wenn sie gegen den Rand schlugen und einige Spritzer in die Höhe schossen.
Und dann tauchte er auf.
Sarah Winter kommentierte es mit einem leisen Schrei, als plötzlich ein Kopf die Oberfläche durchbrach und wir das Gesicht des Paters erkannten.
Er sackte nicht mehr weg, sondern trieb zwischen dem Rand und dem Podest an der Oberfläche. Er lag dabei auf dem Rücken, sodass wir sein Gesicht sahen, bei dem nicht nur der Mund offen stand, sondern auch die Augen.
Wir konnten ihn auf keinen Fall dort schwimmen lassen. Auch wenn er nicht mehr lebte, mussten wir ihn aus der roten Brühe ziehen.
Das wollten Godwin und ich tun, ohne dass wir uns
Weitere Kostenlose Bücher