1724 - Die Heilige der Hölle
gab keine andere Erklärung. Was wir hier sahen, musste die Heilige der Hölle sein, die damals auf den Namen Bettina gehört hatte.
Ich warf Godwin einen knappen Blick zu, bevor ich flüsterte: »Was sagst du?«
Im Gesicht des Templers arbeitete es. Er schaute sich die Gestalt mehrere Male von oben bis unten an. »Die Figur ist neu, John. Ich war in der letzten Nacht hier und habe sie nicht gesehen. Ebenso wenig wie den Sockel. Hier muss sich etwas getan haben, aber wer hier die Fäden in den Händen hält, das ist die große Frage.« Er zuckte mit den Schultern. »Oder können wir uns auf den Begriff Teufel einigen?«
»Das stimmt. Der Teufel ist Dreh- und Angelpunkt. Sie war seine Heilige. Er hat sie nicht sterben lassen und ihr so etwas wie ein Denkmal erschaffen.«
»Aber Denkmale sind tot, John. Ich denke, dass diese Gestalt nicht tot ist. Dass sie lebt. Auch wenn sie so starr wirkt.«
Dagegen konnte ich nichts sagen. Diese Frau auf dem Sockel sah wie aus Stein gemeißelt aus. Sie trug ein langes Kleid, das mit dem unteren Ende fast den gesamten Stein bedeckte. Hinzu kam ein Tuch, das sie über den Kopf gehängt hatte und so weit ins Gesicht gezogen war, dass wir davon so gut wie nichts erkannten.
Die Hände hatte sie vor dem Bauch gefaltet.
War sie aus Stein? Oder spielte sie hier nur Theater? Es war nichts zu sehen. Sie bewegte sich um keinen Millimeter, und sie kam mir wie diese Künstler vor, die in den großen Städten ihre Performance zeigten, indem sie bewegungslos auf ihren Podesten standen.
Auch diese hier würde sich bewegen können. Daran glaubte ich fest. Was hätte der Teufel mit einem Denkmal anfangen sollen?
Hinter uns atmete Sarah Winter noch immer heftig. Es war auch nicht einfach, sich mit dem Gedanken abzufinden, dass diese Person, die sie auf dem Podest sah, jemand war, den sie als ihr eigenes Ich bezeichnen konnte.
Sie hatte in ihrem ersten Leben als die Heilige der Hölle gelebt, und jetzt stand sie sich praktisch selbst gegenüber, auch wenn sie verschieden aussahen.
Zum Glück stand Suko bei ihr. Er sprach beruhigend auf sie ein, während sich der Pater eines Kommentars enthielt. Das Geschehen musste ihn sprachlos gemacht haben.
Vom Prinzip her war es eine völlig normale Nacht, die uns umgab. Ich aber fühlte mich irgendwie entrückt, zwar in der Gegenwart und der Normalität stehend, aber dennoch von etwas Fremdem umgeben. Möglicherweise erging es Godwin nicht anders, denn sein Blick war sehr skeptisch geworden.
Ich wollte etwas unternehmen. Es brachte uns nicht weiter, wenn wir hier standen wie Besucher in einem Museum, die ehrfurchtsvoll ein Kunstwerk anschauten. Damit Godwin nicht überrascht wurde, teilte ich ihm mein Vorhaben leise mit.
»Ich werde sie jetzt anleuchten. Ich will ihr Gesicht sehen und auch eine Reaktion erleben, verstehst du?«
»Klar.«
Obwohl ich das Gesicht nicht sah, hatte ich den Eindruck, von dieser Gestalt beobachtet zu werden.
Ich nahm die kleine Lampe in die Hand, die ungemein lichtstark war. Zuerst richtete ich den Strahl vor meinen Füßen auf den Boden. Ich schaute mir für einen Moment den Kreis an, und wenig später zuckte mein Arm mit der Lampe in die Höhe. Jeder konnte den hellen Speer verfolgen, wie er die graue Dämmerung durchschnitt und sofort danach ein Ziel traf. Es war der Kopf.
Besser gesagt, das Gesicht, das unter dem Tuch plötzlich zu explodieren schien. Ich hatte mir keine Gedanken darüber gemacht, was mich erwartete. Ob ein normales Gesicht oder ein Totenschädel, ich wollte mich überraschen lassen – und saugte scharf die Luft ein, als ich erkannte, was ich da vor mir hatte.
Das Tuch hing nur an den Seiten und ließ die Mitte frei. Und da malte sich das Gesicht ab. Es bestand nicht aus Knochen. Es war normal und irgendwie doch nicht, denn es wirkte auf mich wächsern. Wie das Gesicht einer Leiche mit einem Stich ins Gelbe. Ob das nun echt war oder am Licht meiner Lampe lag, wusste ich nicht, jedenfalls schauten Godwin und ich in ein normales Frauengesicht, das nicht verwest war.
Es gab die Augen, eine Nase, es gab den Mund, aber keine Lippen, die farblich hervorgetreten wären. Es gab nur dieses bleiche Etwas unter dem Stoff. War sie aus Stein?
Es sah so aus, denn auch das Licht hatte nicht dafür gesorgt, dass sie sich bewegte. Hier erlebte ich eine Gestalt, die nach außen kein Leben in sich trug. War sie tot?
Der Templer verfolgte den gleichen Gedanken wie ich. »Hat man sie versteinert?«
»Keine
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