1725 - Hängt die Hexe höher
voller Optimismus. In diesem Fall hat er dich wohl verlassen. Das Leben ist nun mal so. Irgendwann kommt man an einen Punkt, wo man merkt, dass man verloren hat. Das ist hier bei dir der Fall. Ich hole mir das, was ich mir vorgenommen habe. Ich werde mit meinen Freunden ein Blutfest veranstalten. Jane und du, ihr seid meine Ehrengäste.«
»Und wie hast du dir das vorgestellt?«
»Ich werde mit Grace beginnen. Sie gehört mir, aber die anderen Hexen überlasse ich meinen Verbündeten.« Sie lachte und sprach danach Jane Collins an. »Hüte dich davor, auch nur einen meiner Getreuen zu vernichten. Ich würde dich sofort töten und dir kein ewiges Leben schenken.«
»Das habe ich gehört, Justine. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Deine Freunde warten bereits auf dich.«
Justine nickte und wandte sich wieder an mich. »Sinclair, du wirst in diesem Drama mitspielen, doch ich habe für dich eine Statistenrolle ausgesucht. Und hüte dich davor, sie zu verlassen, es wäre tödlich für dich.«
»Keine Sorge, du kannst tun und lassen, was du willst.«
Sie lachte. »Soll ich mich jetzt bedanken? Es ist kaum zu glauben, dich so kooperationsbereit zu sehen, aber ich gebe zu, dass du schon immer ein Realist gewesen bist und es verstanden hast, Situationen richtig einzuschätzen.«
»Möglich.« Es hatte keinen Sinn, wenn ich jetzt versuchte, den Helden zu spielen. Das brachte nichts. Ich hoffte, dass meine Chance noch kommen würde. Übereilte Reaktionen waren nie gut.
Die Cavallo zerrte an den Haaren der Hexe. Grace Golding litt unter den Schmerzen und schrie auf. Tränen schossen in ihre Augen, was die Blutsaugerin nicht kümmerte. »Komm hoch!«
Grace stöhnte. Sie quälte sich auf die Beine. Ich konnte ihr dabei nicht helfen und dachte daran, dass auch sie bestimmte Kräfte in sich wohnen hatte, die aber nichts im Vergleich zu denen waren, auf die Justine sich verlassen konnte.
Schwankend stand die Hexe da. Ihr sonst so harter Blick war durch die Tränen wässrig geworden. Die Cavallo ließ sie nicht aus den Augen und schüttelte sie sogar noch durch.
Grace verkniff sich einen Schrei, und die Blutsaugerin lockerte ihren Griff, ohne die Haare allerdings ganz loszulassen.
»Ich habe meinen Plan fast erfüllt. Die Nacht ist angebrochen. Walpurgis, eure Zeit. Stunden, in denen ihr euch wohl fühlt und Kraft tankt. Das ist jetzt vorbei. Denn die Nacht gehört mir, der Vampirin. Und sie gehört meinen Getreuen, die schon auf deine Freundinnen warten. Ihre Klingen sind geschärft. Sie werden in die Körper gleiten und für Wunden sorgen, aus denen das Blut fließen wird. Dich verschone ich, denn du wirst meine private Beute sein.«
Grace Golding hatte zugehört, aber nichts gesagt. Dann erhielt sie den nächsten Befehl.
»Du wirst deinen Hexen sagen, dass sie ihre Wagen verlassen sollen. Ich will sie draußen haben.«
»Und dann?«
»Hol sie erst her!«
Es blieb der Frau nichts anderes übrig, als ihre Freundinnen zu rufen. Das wäre nicht nötig gewesen, weil sie sowieso schon in den offenen Türen standen, doch jetzt wussten sie, was sie zu tun hatten, und eine nach der anderen verließ die beiden Wagen. Sie bewegten sich ängstlich. Sie schauten ihre Anführerin an und mussten erkennen, dass sie keine Chance hatten.
Auch ich fühlte mich mies und in die Ecke gedrängt. Jane Collins erging es nicht anders. Da brauchte ich nur einen Blick in ihr Gesicht zu werfen. Der Ausdruck sah nicht aus wie der einer Siegerin.
Auch die letzte Hexe verließ den Wagen. Es war die junge Frau mit den Zöpfen. Sie fand den Mut, vor der Cavallo stehen zu bleiben und eine Frage zu stellen.
»Wer bist du wirklich?«
Erst hörte man das Lachen. Dann sagte Justine: »Ich bin bald deine Göttin, Kleine.«
Mit der freien Hand strich sie über das Gesicht und auch am Hals entlang. »Ich rieche dein Blut. Es ist so jung und so frisch, es wird mir bestimmt munden. Ich werde meinen Freunden sagen, dass sie mir noch etwas übrig lassen. Wie heißt du eigentlich?«
»Elisa.«
»Ein schöner Name. Ja, er gefällt mir. Ich freue mich jetzt schon auf dein Blut.« Sie gab ihr einen Klaps auf die Wange. »Aber jetzt geh zu den anderen Hexen.«
Das tat Elisa noch nicht. »Und wo sollen wir hin?«
»Ihr werdet erwartet.«
Elisa sagte nichts mehr. Sie drehte sich um, senkte den Kopf und ging dorthin, wo Jane Collins stand, die ihre Beretta zwar noch gezogen hatte, denen Mündung aber zu Boden wies.
Auch ich riskierte einen Blick.
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