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1743 - Digital-Gespenster

Titel: 1743 - Digital-Gespenster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannt
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finden können, der meinem potentiellen Nachher ähnlich gesehen hätte.
    „Hier!"
    Sie legte ihre kleine Hand auf den Sensor der Tür, die sich sofort geräuschlos öffnete. Als ich eintrat, wußte ich, daß mir von jetzt an wahrscheinlich eine syntronische Überwachung folgte. Kind allein mit fremdem Onkel in der Wohnung - da paßte die Syntronik auf, und ich hatte nichts dagegen.
    Ein Flur mit Garderobe, sehr nostalgisch eingerichtet, dann der Wohnraum, gemütlich, aber entschieden zu ordentlich für meinen Geschmack. Nirgendwo leere Flaschen, Essensreste oder sechs Tage alte Socken. Ungemütlich.
    Es ging geradewegs ins Kinderzimmer, und schon an der Tür konnte ich das Schreien hören.
    „Hilfe, Hilfe...!"
    Die Trivideo-Wand im Kinderzimmer maß zwei auf drei Meter und zeigte eine blühende Landschaft mit Wiesen, Wäldern, dem unvermeidlichen Rotwild und schneegekrönten Bergen im Hintergrund. Es fehlte auch nicht das unvermeidliche Blondlöckchen, das Blumen pflückte und die Rehe betatschte - normalerweise. Diesmal aber stand Blondie mit aufgelöstem Haar mitten im Bild und schaute recht erbärmlich drein.
    „Hilfe!" schrie sie, und obwohl meine Begleiterin den Ton schon heruntergeregelt hatte, war das Schreien ziemlich laut. „So helft mir doch!"
    Ich hatte nicht die leiseste Ahnung, was das zu bedeuten hatte, aber ich gebe zu - ich konnte meine neue Freundin verstehen. Wenn sie auch nur ein bißchen Gespür für Menschen hatte, dann mußte sie merken, daß dieses Schreien keine Schauspielerei war. Der Lockenkopf in der dreidimensionalen Darstellung wirkte als Bild ungemein echt, aber noch wirklichkeitsnäher war die Furcht, die sie ausdrückte.
    „Wechsle den Kanal!" schlug ich vor; wahrscheinlich gehorchte die Syntronsteuerung meinen Befehlen nicht, da ich ein Fremder war.
    „Kanal sieben", sagte das Mädchen. Das Bild wechselte und zeigte nun ein Unterwasserbild. Auch dort war das blonde Mädchen zu sehen, schreiend natürlich, und so ging es sämtliche Kanäle hindurch.
    „Da hilft wohl nur ausschalten", vermutete ich und merkte, daß meine Stimme belegt klang.
    Ich bin kein Experte in Sachen Syntronik. Natürlich habe ich mir auf dem schwarzen Markt ein paar trickreiche Gerätschaften besorgt, mit denen man Syntroniken in gewissem Umfang manipulieren kann, aber von denen weiß ich nur, wie man sie handhaben muß, aber nicht, wie sie funktionieren.
    Ja, ich weiß - das geht nicht. Wer das glaubt, soll’s weiterhin glauben.
    Daß Syntroniken sowohl unfehlbar als auch unmanipulierbar sind, ist lediglich das fromme Gewäsch von Amts wegen und von Seiten der Hersteller. Alles und jedes läßt sich drehen und deichseln, es ist nur eine Frage des Aufwandes. Und die Frauen und Männer, die diese ultramodernen Denkmaschinen geplant, entworfen und gebaut haben, wissen am besten, wie man so etwas anstellt. Sie sagen es nur nicht jedem, und für den Normalbürger stimmt die Behauptung ja auch. Aber sonst...
    Nur in einem Punkt wußte ich Bescheid - wenn Syntroniken Fehler machen, kommt... Mist heraus, keine goldenen Dublonen. Zu glauben, daß bei einem Syntronfehler etwas Sinnvolles entsteht, hieße auch zu glauben, daß man nur eine Handvoll Lettern in die Luft zu werfen braucht, um am Ende auf dem Boden eine Kurzgeschichte von Ryd Shepherd vorzufinden.
    Mit diesem Trivideo stimmte etwas nicht, und das lag nicht an der Syntronik. Entweder hatte jemand an dem Ding gedreht - aber wer sollte diesen Aufwand treiben, nur um das Mädchen zu erschrecken, das neben mir stand und leise schniefte?
    „Sie sieht aus wie ein Gespenst!" schniefte meine Freundin. „Gibt es Gespenster?"
    „Nicht im wirklichen Leben", antwortete ich. „Schalt ab!"
    Das immerhin funktionierte. Die Kreischerin wurde stumm, der Schirm zeigte wieder das Normalbild, auf das er programmiert war - das kalkigweiß geschminkte Gesicht einer Schauspielerin, an dem sich wohl der Geschmack meiner Freundin orientierte. Vermutlich ihr Lieblingsstar.
    „Ich fürchte, du wirst dich heute abend anders unterhalten müssen", sagte ich und glitt ins Pädagogische ab. „Außerdem: Meinst du nicht, es wäre allmählich Zeit für dich, ins Bett zu gehen?"
    Sie sah mich schief an.
    „Und wenn ich davon träume?"
    „Dann träum eben von mir", sagte ich und schnitt die scheußlichste Grimasse, zu der ich fähig war. Wenn ich das vor dem Spiegel mache, vor allem nach einer durchsoffenen Nacht und drei Tagen ohne Enthaarungscreme, kann ich selbst eine

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