Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

1743 - Digital-Gespenster

Titel: 1743 - Digital-Gespenster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannt
Vom Netzwerk:
verhärteten, leer wirkenden Mienen, die anzeigten, daß die Person mehr mit sich selbst und ihren Problemen, vielleicht gar Schmerzen, beschäftigt war als mit ihrer Umwelt.
    Jedes dieser Gesichter spiegelte die innere Anspannung wider, den gefühlten Schmerz nicht deutlich werden zu lassen, der Umwelt eine erträglich wirkende Maske vorzeigen zu können. Jede dieser Mienen verriet mir, daß sich das Denken und Fühlen dieser Menschen gleichsam auf ein einziges Problem zusammengezogen hatte. Nichts anderes mehr zählte, nur dieses Problem.
    Man traf sich, rein zufällig und dennoch wohlorganisiert, in einer großen Halle, die wohl für so etwas wie Bürgerversammlungen konzipiert worden war. Die Stuhlreihen füllten sich rasch, und als der Saal beinahe besetzt war, tauchte Jerryn Zucor auf.
    Ich erkannte ihn von den Medien her wieder. Groß gewachsen, schlank, elastisch in seinen Bewegungen, trotz seiner einhundertdreißig Jahre sehr schwungvoll und sportlich wirkend. Die Sonnenbräune war in dieser Gegend Terras normal. Die Haare trug er trotz einiger markant und wirkungsvoll gesetzter grauer Strähnen in einer jugendlichen Frisur. Er machte einen intelligenten Eindruck, den eines Mannes, der weiß, was er will, und in aller Regel auch damit durchkommt.
    Anders als Geo Sheremdoc, der die Willensenergie eines Rammbocks zur Schau trug, schien Zucors Willensstärke sich eher auf die raffinierte Tour des Durchschlängelns zu richten. Sheremdoc wollte ich nicht zum Feind haben, diesen Mann nicht einmal als Freund.
    Jerryn Zucor ließ sich Zeit.
    Der alte Trick der rhetorischen Volksverführer: das immer wieder hinausgezögerte erste Wort. Ein Räuspern, ein Blick zur Seite, Luft holen, Lippen öffnen - und dann alles wieder zurück, neuer Anlauf. Das Grundmurmeln im Raum wurde schwächer und schwächer, die Leute gierten nach dem Beginn.
    „Willkommen..."
    Unverkennbar eine geübte und geschulte Rednerstimme. Prüfend musterte er seine Kundschaft.
    Ich betrachtete ihn von weitem, mit der Fernoptik meiner Augen, und studierte seine Mimik. Für mich hätte er nicht so viel Zufriedenheit ausdrücken dürfen. Was ihn freute, war mehr als nur die Tatsache, daß der Saal ziemlich voll war. Er schien sich auch darüber zu freuen, daß seine Kundschaft gleichsam gezwungen war, zu ihm zu kommen. Er blickte sie an wie ein Fuchs eine Reihe wohlgemästeter Gänse. Fette Beute in Sicht.
    Was Jerryn Zucor zu verkünden hatte, interessierte mich nicht besonders. Mein Augenmerk galt mehr der Wirkung, die seine Ansprache auf seine Zuhörer hatte. Er machte seine Sache recht geschickt.
    Zuerst das Übliche: süßer Seim um die Mäuler. Verständnis für ihre ganz besonderen Sorgen, Nöte und Probleme, dazwischen geschickt eingestreute Komplimente an das anwesende Publikum. Sie waren natürlich besondere Menschen mit besonderen Ansprüchen und verdienten daher auch eine entsprechende Behandlung.
    Um die Wahrheit, daß nämlich diese Menschen in gewisser Weise nicht mehr ganz zurechnungsfähig waren, drückte er sich geflissentlich herum.
    Für jeden, der auch nur einen Funken wacher Intelligenz besaß, war es nicht zu übersehen: Jerryn Zucor hatte keineswegs vor, etwas für diese Menschen zu tun; er wollte vielmehr, daß sie etwas für ihn taten, und nach etwa einer Viertelstunde kam er allmählich auf den Punkt.
    Was Jerryn Zucor plante, war nicht mehr und nicht weniger als eine kleine Revolution. Nicht, daß er seine Zuhörer zu Gewalttaten aufstachelte - so dumm war er nicht. Was er im Sinn hatte, war eine Manipulation der bestehenden Rechtsvorschriften.
    Die Liga Freier Terraner war eine Demokratie: Die Bürger bestimmten über die von ihnen gewählten Vertreter selbst, wie ihr Leben politisch gestaltet werden sollte.
    Früher einmal, in der Zeit vor den Positroniken und Syntroniken, hatte es zur Politik gehört, die Verwaltung zu ordnen, ihr Vorschriften zu geben und sie mehr oder weniger effektiv zu überwachen. Das war heutzutage nicht mehr nötig; die Verwaltung Terras wurde praktisch von NATHAN erledigt. Eine Syntronik dieser Größenordnung beschränkte sich nicht nur auf stupides Zusammenrechnen von Zahlen. NATHAN war, wenn man so wollte, auch ein exzellenter Soziologe und Psychologe; er wußte daher, welche Anordnungen, Gesetze und Erlasse er herauszugeben hatte, um ein politisch gewünschtes Ziel zu erreichen.
    Die Rolle der Politik beschränkte sich darauf, ihm genau diese Rahmenvorschriften zu geben und ihm zu sagen, wo

Weitere Kostenlose Bücher