176 - Geliebter Höllenkater
mißtrauen.
»Wir sind immer noch Freunde«, sagte Linda. »Es hat sich nichts zwischen uns geändert.«
Sie streckte die Hand aus. Zuerst wollte Lennie zurückzucken, aber dann hielt er still. Die Berührung war für Linda ein eigenartiges Erlebnis. Lennies Fell war kalt und kratzig. Es schien sich direkt über seine Knochen zu spannen.
»Du hast sicher Hunger«, sagte Linda fürsorglich. »Ich bringe dir etwas zu fressen.«
Sie hatte zwar versprochen, nachts nicht mehr durch das Haus zu geistern, aber das war eine Ausnahme.
»Ich kann dich nicht mitnehmen«, sagte Linda leise. »Du mußt hierbleiben.« Sie schlich zur Tür. Dort drehte sie sich um. »Ich bin gleich wieder bei dir. Lauf nicht weg und mach keinen Lärm.«
Sie stahl sich aus dem Zimmer und stieg so vorsichtig wie möglich die Treppe hinunter. Wenn Dad sie noch einmal erwischte, würde sie großen Ärger kriegen.
Linda nahm eine Dose mit Katzenfutter, den Dosenöffner, Lennies Freßnapf und einen Eßlöffel mit nach oben.
Lennie fauchte, als sie eintrat. »Ich bin es doch, du Dummerchen«, sagte Linda schmunzelnd.
Als sie darangehen wollte, die Büchse zu öffnen, hörte sie nebenan die Tür. Ihr Herz blieb vor Schreck fast stehen. Dad hatte einen leichten Schlaf. Vielleicht war sie nicht vorsichtig genug gewesen. Vielleicht hatte Lennie während ihrer Abwesenheit Geräusche verursacht.
»Dad!« keuchte Linda entsetzt.
Sie hätte viele Dinge gleichzeitig erledigen müssen, doch wer konnte das schon? Sie schnappte Lennie, denn er war am wichtigsten, klemmte ihn sich unter den Arm und hastete mit ihm zum Schrank, öffnete die Tür und ließ ihn hineinfallen.
»Keinen Laut!« zischte sie und schloß rasch die Tür.
Mit einem Satz war sie im Bett. Über Löffel, Dose, Freßnapf und Dosenöffner warf sie die Decke, und dann drückte sie fest die Augen zu. Ihr kleines Herz raste, als sich die Tür öffnete.
Peter Sutherland trat ein, um nach seiner Tochter zu sehen. Ihm war vorhin gewesen, als hätte er ein Geräusch vernommen.
Linda atmete tief und regelmäßig. Es schien alles in Ordnung zu sein. Der Vater beugte sich vorsichtig über das Kind, um seinen tiefen Schlaf nicht zu stören. Plötzlich war ihm, als hätte sich im Schrank etwas bewegt. Er richtete sich rasch auf und drehte sich mißtrauisch um.
Lindas Herz war nahe daran zu zerspringen.
Er wird Lennie entdecken! schrie es in ihr.
Sutherland näherte sich unschlüssig dem Schrank. Was sollte sich darin schon bewegt haben? Sollte er die Tür öffnen und riskieren, daß Linda aufwachte? Das Kind brauchte seinen Schlaf nach dieser Katastrophe mit Lennie dringend.
Er blieb vor dem Schrank stehen. Linda befürchtete, er würde die Tür öffnen, doch dann verzichtete er darauf, machte kehrt und verließ den Raum auf Zehenspitzen.
Linda fiel ein großer Stein vom Herzen. Sie lauschte angestrengt und hörte, wie Dad sich wieder ins Bett legte. Es ging fast über ihre Kräfte, fünf Minuten verstreichen zu lassen. Länger hielt sie es nicht mehr aus.
Sie stand auf, holte Lennie aus dem Schrank, öffnete die Dose und holte die saftigen Fleischstücke mit dem Löffel heraus. Lennie machte sich mit einer widerlichen Gier darüber her.
***
Linda hielt sich von nun an merklich häufig in ihrem Zimmer auf. Früher war sie sehr mitteilsam gewesen, doch nun sprach sie wenig. Ihre Verschlossenheit gefiel Meryl Sutherland zwar nicht, aber sie sagte deswegen vorläufig nichts, sondern bemühte sich, Verständnis für die schlimme Situation ihrer Tochter aufzubringen.
Die Zeit heilt alle Wunden, sagte sich Lindas Mutter. Man muß nur Geduld haben, dann kommt bestimmt wieder alles in Ordnung.
Kinder vergessen schneller als Erwachsene.
Was Linda tat, wenn sie allein in ihrem Zimmer war, wußte Meryl Sutherland nicht. Ihr fiel nur auf, daß das Kind plötzlich peinlich Ordnung hielt. Es war nicht mehr nötig, Lindas Zimmer aufzuräumen, das machte sie jetzt ganz von selbst.
Klar, sagte sich Meryl Sutherland, irgendeine Beschäftigung braucht sie, und diese ist nicht einmal die schlechteste.
Die große, teure Puppe von Adams und Kaufman strafte Linda mit Nichtbeachtung. Noch kein einziges Mal hatte sie damit gespielt; ja, sie wollte sie nicht einmal in ihrem Zimmer haben, aber darauf bestand Meryl Sutherland, und Linda gab nach. Doch sie würdigte die Puppe weiterhin keines Blickes. ›Sonja‹, so hatte Meryl Sutherland sie getauft, war für das Kind einfach nicht vorhanden. Es war wirklich
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