1765 - Der Schattenprinz
kalte Dusche, aber die bleiche Hand zu sehen, das war schon ein Hammerschlag, der mich schlucken ließ. Warum lag die Hand da? War es nur eine Hand oder hing noch ein Arm daran?
Ich wollte es genau wissen, ging in die Knie und holte meine Lampe hervor, um die Dunkelheit des Schranks zu erhellen.
Das Licht verteilte sich auf dem Boden, und so sah ich, dass es nicht nur eine Hand war, die hier lag. Auch der Mann, dem sie gehörte, wurde vom Licht erfasst. Ich sah einen Kopf mit dunklen Haaren und die Schultern. Sie steckten in einer Lederjacke.
Das alles war mir zu wenig. Ich wollte wissen, wer der Mann war, und zog an der Schulter. So glitt er in meine Richtung. Schließlich lag er so auf dem Schrankboden, dass ich auf seinen Kopf schauen konnte – und zusammenzuckte, denn nun sah ich die frischen Blutspuren an seinem Hals. Ich untersuchte ihn genauer und entdeckte wenig später auch die beiden Einstichstellen.
Nein, das war falsch. Da hatte niemand gestochen, da war gebissen worden. Ich kannte mich aus mit Vampirbissen. Diese noch nicht verheilten Wunden waren entstanden, weil jemand seine Zähne in den Hals geschlagen hatte.
Bestimmt kein Mensch, es musste ein Vampir gewesen sein. Ein echter, kein Halbvampir. Also musste ich davon ausgehen, dass sich in diesem Kloster ein echter Vampir herumtrieb und die Halbvampire angriff, um deren Blut zu trinken.
Der Halbvampir war zum Vampir geworden. Er hatte sich im Schrank versteckt, um auf sein Erwachen zu warten. Ihm würden Zähne wachsen, und er war dann in der Lage, Menschen so anzugehen, wie die Blutsauger es auch taten. Nein, das durfte nicht sein. Die Beretta ließ ich stecken. Ich wollte keinen Lärm machen, wenn ich ihn erledigte. Mein Kreuz würde es schaffen, und ich ließ ihn in diesem großen Kleiderschrank auf dem Boden liegen.
Die Kette hatte ich schnell über den Kopf gestreift, und es tat gut, das Kreuz auf meinem Handteller liegen zu sehen und auch das Gewicht zu spüren. Es hatte etwas ungeheuer Beruhigendes an sich.
Die Gestalt hielt die Augen geschlossen. Ein leichtes Zucken war an den Wangen zu sehen. Es konnte sein, dass er sich bereits auf dem Weg befand, an dessen Ende er zum Vampir geworden war.
Er würde es nicht mehr schaffen.
Ich wollte nicht von einem lautlosen Töten sprechen, das passte mehr in einen Krieg, aber hier war es so ähnlich. Ein Zischen erklang, als mein Kreuz die Stirn berührte, allerdings fuhr das Geräusch aus dem Mund der Gestalt.
Ich sah für einen winzigen Moment die Augen offen, dann brachen sie wieder, und ich wusste, dass dieser Mensch keine Vampirzähne mehr bekommen würde.
Ich schob ihn wieder tiefer in den Wandschrank hinein und schloss die Tür.
Wer hatte den Halbvampir gebissen?
Ein Name ging mir durch den Kopf.
Der Schattenprinz!
Genau die Gestalt, die es auch damals gegeben hatte. Auf die Dahlia so sehnsuchtsvoll gewartet hatte, um ihm ihr Blut zu spenden. Es war nicht dazu gekommen, weil es einen Mann gegeben hatte, der dasselbe Kreuz getragen hatte wie ich.
Hector de Valois. Der Mann, der ich auch schon gewesen war.
Und nun lebte die Spenderin noch immer. Aber auch derjenige, der scharf auf ihr Blut war, existierte noch. Es sollte sich also heute das erfüllen, was er damals nicht geschafft hatte.
Völlig verdreht. Aber wer sich mit der dämonischen Seite anlegte, der musste mit solchen Vorgängen rechnen.
Es stand also fest, dass ich noch einen echten Vampir jagen musste. Mir blieb auch nichts erspart.
Im Moment war alles ruhig. Es zeigte sich kein Gegner. Auch die Halbvampire hielten sich zurück, und ich stellte mir schon die Frage, ob sie für die Stille gesorgt hatten, indem sie sich dem wahren Blutsauger ausgeliefert hatten.
Nein, das glaubte ich nicht. Er hatte es in diesem kurzen Zeitraum nicht schaffen können. Außerdem gab es noch Menschen, deren Blut ihm wahrscheinlich lieber gewesen wäre als das der Halbvampire.
Wenn ich mich umschaute, war ich allein. Das war auch nicht weiter tragisch, doch ich dachte daran, dass es noch einen Mann gab, der in das Kloster eingedrungen war.
Bill Conolly!
In welchem Teil des Klosters er sich aufhielt, wusste ich nicht. Es war aber wichtig. Sollte es zu einer Auseinandersetzung kommen, musste der eine wissen, wo sich der andere aufhielt, sonst hatte dieses Vorgehen keinen Sinn.
Ich rief Bills Handynummer an und hoffte, dass er seinem Apparat die Lautstärke genommen hatte.
Sekunden verstrichen.
Dann hörte ich seine leise Stimme.
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