1765 - Der Schattenprinz
Sie hätte sonst etwas gehört, denn um sie herum war es totenstill. Da waren auch die Geräusche zu hören, die von draußen an ihre Ohren drangen.
Noch war alles ruhig. Aber die Zeit blieb nicht stehen, und die Unruhe steigerte sich bei der jungen Frau. Sie war knapp zwanzig Jahre alt und sehr gut entwickelt. Ein Blickfang für die Männer, was sie auch wusste und nicht mochte. Deshalb versteckte sie ihre Formen gern unter weiter Kleidung.
Nicht im Bett. Und nicht, wenn sie ihren Galan der Nacht erwartete. Da wollte sie seine Hände auf ihrer Haut spüren. Deshalb trug sie auch nicht viel am Leib. Ein Hemd mit einem tiefen Ausschnitt, das ihr bis knapp zu den Knien reichte. Das war alles, was sie am Körper trug, und sie wartete ungeduldig darauf, dass dieser Körper von harten Händen gestreichelt und geknetet wurde.
Wieder glitt ihr Blick zum Fenster. Sie sah nichts, aber diesmal drehte sie sich nicht so schnell weg, denn sie hatte etwas gehört.
Dahlia lauschte.
Ja, es stimmte. Die absolute Stille war dahin, denn es kam jemand von außen. Sie vernahm Geräusche, die jemand verursachte, der über das Gestein glitt.
Und das tat der Schattenprinz!
Dahlia riss sich zusammen. Sie stand nicht auf, um zum Fenster zu eilen. Sie blieb sitzen und wartete darauf, dass er kam, dass sich die Fensteröffnung verdunkelte und die Gestalt, die keinen Schatten warf, aber im Schatten lebte, ihr Zimmer betrat, um sich an ihr zu laben und sie wieder ein Stück näher an das ewige Leben heranzubringen. Ja, daran glaubte sie fest. Das ewige Leben, das ihr die andere Seite geben würde.
Und dann war er da.
Er war kein Schatten, aber er sah trotzdem so aus wie einer, der keinen Laut von sich gab. Und er war schnell. Er hatte sich nicht damit aufgehalten, seine Blicke durch das Zimmer gleiten zu lassen, er huschte sofort herein. Er ließ sich nach vorn fallen, stützte sich am Boden ab, bewegte sich lautlos ein Stück weiter und stand mit einer geschmeidigen Bewegung auf, wobei er seinen Umhang zur Seite schlug.
Jetzt war er da.
Und im Bett saß eine junge Frau, die vor Glück und Erwartung kaum atmen konnte...
***
Sekunden vergingen. Dahlia zitterte. Sie hatte die Decke bis zum Kinn hochgezogen, was Unsinn war, denn sie würde sich ihm bald anders präsentieren.
Er blieb stehen. Seine Augen waren auf sie gerichtet. Er konnte mit seinem scharfen Blick bis in ihre Seele schauen, jedenfalls empfand sie es so.
Je mehr Zeit verstrich, umso stärker löste sich ihre Anspannung. Ihre Hände hatten verkrampft die Decke gehalten, die ihr jetzt aus den Fingern rutschte.
Jetzt war sie bereit.
Sie sprach ihn an. Die Worte kamen flüsternd über ihre Lippen, und sie wusste selbst nicht, was sie da eigentlich gesagt hatte, aber sie hatte ihn begrüßt, und das nahm er mit einem Nicken zur Kenntnis.
»Ich habe auf dich gewartet...«
»Das weiß ich.«
Plötzlich wurde sie nervös und wagte kaum, die nächste Frage zu stellen. »Werde ich in dieser Nacht das ewige Leben erhalten? Wenn du mein Blut trinkst, ist es dann so weit? Gehöre ich dann zu dir? In deine Kreise?«
Der Schattenprinz schaute sie über eine längere Zeit an und nickte. Allerdings nur schwach, sodass sie mit dieser Antwort nicht zufrieden sein konnte.
Sie schüttelte den Kopf und fragte mit leiser Stimme: »Nicht...«
»So ist es.«
Damit hatte Dahlia Probleme. »Wann denn? Ich habe alles für dich getan, ich lebe schon nicht mehr so richtig wie ein Mensch, sondern kann vor Schwäche kaum mehr gehen. Warum also willst du...«
Er legte einen Finger auf seine blassen Lippen. Sie verstand und hielt ihren Mund.
Jetzt waren andere Dinge wichtig, und Dahlia schaute zu, wie er sich mit einem langen Schritt in Bewegung setzte und auf ihr Bett zukam, in dem sie auf ihn wartete.
Nichts war von ihm zu hören. Kein Einatmen, kein Flüstern, kein Räuspern, gar nichts. Es war alles so, wie sie es sich vorgestellt hatte.
Dann stand er neben dem Bett. Er hielt den Kopf gesenkt und blickte auf sie nieder.
Dahlia hatte den Kopf leicht in den Nacken gelegt. Sie schaute in sein Gesicht, in dem der Mund noch geschlossen war, was sich bald ändern würde.
Zuvor aber ging er in die Knie und setzte sich auf die Kante des Betts.
Es war wie immer, und Dahlia hörte sich in wilder Vorfreude schon stöhnen. Dieses Spiel trieb sie in den Wahnsinn, aber in einen, der ihr ungeheure Lust bereitete.
Er schaute sie an.
Sie gab den Blick zurück. Und sie zog die Nase hoch, um seinen
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