1768 - Das Schattenmonster
abfiel, denn durch ihren Körper ging ein leichter Ruck, bevor sie sich nach links drehte, um zur Tür zu schauen.
Sie musste Harry sehen, denn er stand ihr im Weg. Aber sie sagte und tat nichts.
Harry sprach sie an. Er sagte nur ihren Namen und wartete auf eine Reaktion.
Die erfolgte auch. Aber anders, als Harry es sich vorgestellt hatte. Sonja gab sich einen Ruck und ging mit etwas steifen Schritten auf Harry Stahl zu.
Der überlegte, was er tun sollte. Ein komisches Gefühl überkam ihn. Er sah, dass Sonja keine Waffe trug, sie aber auch nicht den Eindruck machte, als wollte sie mit ihm reden. Sie ging ihren Weg, und Harry musste sich in dem schmalen Flur schon recht dünn machen, um sie vorbei zu lassen.
Nichts war mehr von der schwarzen Masse zu sehen. Die hatte sich vollständig verflüchtigt, was Harry auch nicht so recht in den Kopf wollte.
Er sprach Sonja nicht an. Sie bedachte ihn mit keinem Blick und erreichte die Haustür, vor der sie für einen Moment stehen blieb. Dabei senkte sie leicht den Kopf und schien über etwas nachzudenken.
Harry nutzte die Gelegenheit und sprach sie an.
»Ist was mit dir, Sonja?«
»Nein. Alles gut.«
»Super. Und wo willst du hin?«
»Nach draußen. Ich muss mich dort umschauen. Es ist wichtig, dass ich dorthin komme.«
»Warum?«
»Ich muss gehen.«
Es waren nur wenige Sätze, die die beiden gewechselt hatten, aber er wusste Bescheid. Das war nicht die Sonja, die er kannte. Sie verhielt sich völlig anders. Sie war zwar da, aber trotzdem irgendwie weggetreten, als befänden sich ihre Gedanken auf einer ganz anderen Reise, die zu irgendwelchen komplexen Zielen führten.
Sie sagte noch etwas zu sich selbst, dann schaffte sie es, die Tür zu öffnen.
Ihr Blick fiel in den Vorgarten und auf den Weg, der ihn durchschnitt. Dort standen zwei Menschen. Thomas Klein mit seiner Mutter. Beide schienen etwas bemerkt zu haben. Wäre alles normal gewesen, hätten sie nicht so starr geschaut. Jetzt waren ihre Blicke auf die Schülerin gerichtet, die mit kleinen Schritten über die Schwelle ging und sich auf Mutter und Sohn zu bewegte.
Harry Stahl tat nichts. Es war am besten, wenn er sich raushielt. Er musste abwarten, wie sich die Dinge entwickelten. Er hatte das Gefühl, immer irgendwie neben dem Geschehen zu stehen.
Es passierte nichts. Die Schülerin ging auf die beiden Kleins zu, und es sah so aus, als wollte sie durch die beiden hindurch gehen. Dann aber stoppte sie.
Thomas nahm die Gelegenheit wahr und sprach sie an. »Alles klar?«
Sie gab eine Antwort. Leider so leise, dass Harry sie nicht verstand, aber Thomas hatte sie gehört.
»Ja, das ist stark. Können wir. Das hatten wir auch vor. Wir können nach Nürnberg fahren und uns einen schönen Tag machen. Geld habe ich bei mir, wir können sofort gehen.«
»Nein, nicht!« Die Mutter reagierte spontan. Sie klammerte sich am Arm ihres Sohnes fest. »Denk daran, was aus ihrem Mund gequollen ist. Das Mädchen ist nicht mehr normal.«
»Hör auf, Mutter. Es hat ihren Körper verlassen. Denk mal darüber nach. Wenn es draußen ist, dann ist es nicht mehr drin. So musst du das sehen und nicht anders.«
»Ich weiß nicht.«
»Doch, Mutter, das ist so. Du musst dir keine Sorgen machen. Nürnberg wird für uns bestimmt toll.«
»Aber ich...«
»Bitte kein Aber, Mutter. Ich bin kein kleines Kind mehr. Und jetzt lass uns gehen.«
Der Frau blieb nichts anderes übrig, als der Bitte ihres Sohnes nachzukommen. Sie trat zur Seite, sagte noch etwas und schaute dann zu, wie Sonja ihren Mitschüler an die Hand nahm und mit ihm durch den Vorgarten schritt...
***
Harry Stahl hatte sich bewusst zurückgehalten, um zu sehen, wie der junge Mann und seine Schulkollegin reagierten. Sie wollten ihren eigenen Weg gehen, auch wenn es der Mutter nicht gefiel und sie sich Sorgen machte. Aber die Kinder waren in einem Alter, wo sie ihre eigenen Entscheidungen trafen.
Als Harry vor der Frau stehen blieb, zuckte sie zusammen und flüsterte: »Da gehen sie hin.«
»Ja, ich weiß.«
»Finden Sie das gut?«
»Nein, aber was wollen Sie machen? Es sind keine Kinder mehr.«
»Ich frage mich, was wir machen können, und nicht, was wir machen sollen.«
»Ja, ich denke, dass ich den beiden folge. Sie wollen nach Nürnberg – oder?«
»So ist es.«
»Wie kommen sie hin?«
»Mit dem Bus. Wenn sie mit dem Zug fahren wollen, müssen sie schon in den Nachbarort Burgthann, wo er hält.«
»Ja, da wohne ich. Und ich habe bei der Herfahrt
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