1776 - Blutsüchtig
sich erhoben. Sie umklammerte die Waffe mit beiden Händen. Ihr Mund war verzogen. Sie atmete hektisch. Groß waren die Augen geworden.
Noch nie hatte sie sich in einer derartigen Lage befunden. Jetzt musste sie sich bewähren, und das mit der Waffe in der Hand. Da war ein Trauma zur Realität geworden.
Als wäre nichts geschehen, kletterte die Dunkelhaarige aus dem Wagen.
»Ich heiße Pamela. Merk dir den Namen.«
»Schon gut. Aber jetzt will ich, dass Sie genau das tun, was ich Ihnen sage.«
»Aha und was?«
»Heben Sie die Hände.«
»Und dann?«
»Hoch mit den Händen!«
Pamela lächelte und schüttelte den Kopf. »So haben wir nicht gewettet. Du hast deinen Spaß gehabt, aber jetzt reicht es mir. Ich habe vor deiner Kanone keine Angst. Leg sie weg und lass uns vernünftig reden.«
»Nein, wieso? Ich bin es, die hier das Sagen hat. Und ich will, dass Sie Ihre Hände gegen den Himmel gestreckt halten, danach können Sie sich umdrehen und die Hände auf das Autodach legen.«
»Das werde ich nicht. Ich habe meinen Plan, und den werde ich durchziehen.«
Was sie damit meinte, zeigte sie eine Sekunde später. Da war sie auf dem Weg zu Lisa Lürsen.
Die verstand das nicht. Wie konnte diese Person nur so verrückt sein? Weiter nach hinten konnte die Polizistin nicht. Da war kein Platz mehr. Und von vorn versperrte ihr die Blutsaugerin den Weg.
»Keinen Schritt weiter!«
Pamela lachte nur. Sie ging weiter, und Lisa Lürsen wusste, dass es nur einen Weg gab.
Sie schoss – und traf!
***
Lisa wusste nicht, ob sie den Abschussknall überhaupt hörte. So sehr war sie auf das Geschehen konzentriert. Aber sie hatte die Gestalt nicht verfehlen können, obwohl sie nicht zu den besten Schützen gehörte.
Und sie hatte getroffen!
Die Kugel war in Bauchhöhe in den Körper eingeschlagen. Sie hatte dort eine Wunde gerissen, an der ein Mensch wahrscheinlich gestorben wäre.
Nicht aber diese Pamela. Sie hatte die Kugel geschluckt und schaute jetzt an sich hinab. Sie fiel nicht. Sie blieb stehen, und Lisa konnte es nicht fassen. Sie stand auf der Stelle und war nicht fähig, ein zweites Mal abzudrücken.
Warum brach die Person nicht zusammen? Warum schrie sie nicht? Sie musste Schmerzen haben, denn jeder, der dort von einer Kugel getroffen wurde, litt unter Schmerzen. Etwas anderes gab es einfach nicht.
Aber sie sah die Person. Sie stand da und sie hob jetzt langsam den Kopf und konzentrierte sich auf die Polizistin.
»Ich hatte dich schonen wollen, aber das ist jetzt vorbei. Du hast gezeigt, wo du stehst. Du hast mich angeschossen, du wolltest mich erschießen. Aber so läuft das nicht. Du hast keine Chance mit einer normalen Waffe. Oder hast du vergessen, wer ich bin?«
Lisa Lürsen schüttelte den Kopf, obwohl sie das gar nicht wollte. Sie starrte jetzt die beiden Zähne an, die ihr wieder präsentiert wurden.
Aber sie erlebte auch etwas anderes, das ihr Hoffnung gab. Der Schuss hatte nicht nur die Stille zerrissen, er war auch gehört worden. Mehrere Fenster waren geöffnet worden. Menschen standen auf der Straße.
»War das ein Schuss?«
»Ja, ich glaube.«
»Aber wo?«
»Ach, da ist schon die Polizei. Da unten parkt doch der Streifenwagen.«
Lisa nahm die Rufe am Rande wahr. Sie konzentrierte sich auf die dunkelhaarige Pamela, die ihr zunickte und dabei flüsterte: »Es ist noch nicht vorbei. Noch längst nicht. Du wirst es erleben, Lisa. Und denke daran: Laurie ist nicht vergessen.«
Sie sagte nichts mehr. Sie drehte sich einfach nur um und lief weg. Einen besseren Schutz als die Dunkelheit hätte sie sich nicht wünschen können.
Zurück blieb Lisa Lürsen. Sie kümmerte sich nicht um die Rufe der Gaffer.
In ihrem Innern bewegte sich etwas. Sie hätte die Gedanken am liebsten zurückgedrängt, aber das konnte sie einfach nicht. Sie waren da und ließen sich nicht fortspülen.
Es ging um Marcus, ihren Kollegen. Von ihm war gesprochen worden, und Lisa konnte nicht gefallen, was die Vampirin behauptet hatte. Sie musste Gewissheit haben.
Sie suchte Marcus Wegener und sie fand ihn auch. In der Gosse sah sie eine dunkle Gestalt liegen, die sich nicht rührte.
Was sie jetzt tat, das fiel Lisa unheimlich schwer. Sie musste wissen, wer da regungslos im Rinnstein lag. Eine kleine Leuchte trug sie immer bei sich. Die schaltete sie jetzt ein und richtete den Strahl schräg nach vorn.
Sekunden später fiel ihr Blick auf eine von Bissen zerfetzte Kehle. Man hatte ihrem Kollegen nicht die Spur einer Chance
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