179 - Der rote Tod
sich im Obergeschoß.
Vielleicht schläft er, versuchte sich James Lukas einzureden. Er kann sich hingelegt haben und eingeschlafen sein. Oder er läßt den Walkman laufen. Dann kann man neben ihm eine Kanone abfeuern, ohne daß er es hört.
Er näherte sich Gordons Tür, und ihm fiel ein Stein vom Herzen, als er den Jungen sah. Wenigstens ihm ging es gut. Er lag auf seinem Bett und hatte tatsächlich die Kopfhörer auf.
Als Lukas eintrat, bemerkte ihn der Junge. Er nahm die Hörer ab und setzte sich erstaunt auf. Noch nie hatte er seinen Großvater mit einer Pistole gesehen. »Woher hast, du die?« wollte er wissen. »Ist die echt?«
»Komm!« preßte Lukas heiser hervor. »Wir müssen das Haus verlassen.«
»Aber warum denn?«
»Es ist etwas Schreckliches passiert.«
»Was?«
»Frag nicht! Komm!« Lukas griff nach dem Jungen, doch ehe er ihn berührte, schoß etwas Rotes zwischen ihnen aus dem Boden und trennte sie.
Ein harter Schlag traf James Lukas und warf ihn gegen die Wand. Er stöhnte. Wie durch einen trüben Schleier sah er, was mit Gordon passierte.
Der Junge schrie auf, sprang vom Bett und wollte zur Tÿr laufen, aber das ließ die rote Massé nicht zu. Flach wie ein Brett richtete sie sich auf und verdoppelte sich in jeder Sekunde.
Sie wurde zu einer undurchdringlichen Wand, die sich oben nach vorn zu biegen begann. Gleichzeitig wölbte sie sich. Der Schleim wollte eine Kuppel bilden, unter der sich Gordon befand.
Gordon rief nach seinem Großvater, und James Lukas schüttelte verbissen den Kopf, um die schwere Benommenheit loszuwerden.
»Zurück, Gordon!« keuchte er. »Versteck dich im Schrank!«
Gordon stolperte über den Rand des Bettvorlegers.
»Mach schnell, Junge!« stöhnte Lukas.
Gordon stürzte.
Lukas versuchte, so etwas wie ein Zentrum in diesem Wesen zu erkennen. Wo konzentrierte sich die Kraft? Wo befand sich etwas Ähnliches wie ein Herz, wie ein Gehirn? Dieses Ungeheuer mußte doch irgendwie gelenkt werden.
Dort, wo die rote Farbe am dunkelsten war, vermutete Lukas die »Kommandozentrale des Bösen«. Darauf zielte er. Seine Hand zitterte so stark, daß er die zweite Hand zu Hilfe nehmen mußte.
Er zog den Stecher durch, und die Waffe krachte. Nach so vielen Jahren funktionierte sie immer noch!
Sie ruckte in seiner Hand, bäumte sich regelrecht auf, und die Kugel fegte durch den Lauf. Ob sie das Ziel traf, wußte Lukas nicht.
Er war noch nie ein guter Schütze gewesen. Im Grunde genommen verabscheute er Waffen. Aber manchmal waren sie sehr wichtig.
Gordon rappelte sich auf. In der roten Wand zeigte sich das Gesicht seiner Großmutter.
»Gordon, komm zu mir!« sagte das Gesicht, Ein böses Lächeln umspielte Gwendolyns Lippen.
Der Junge wich verstört zurück.
»Komm doch!« verlangte seine Großmutter, »Du brauchst keine Angst zu haben!«
Gordon wollte lieber den Schrank erreichen, »Hörst du nicht, was ich sage?« fauchte Gwendolyn ungeduldig. »Du hast zu gehorchen, wenn deine Großmutter dir etwas befiehlt. Du kommst jetzt auf der Stelle zu mir!«
»Nein!« krächzte der Junge.
»Du unfolgsamer Bastard!« schrie die Frau wütend. Ihr Mund wurde zu einem großen Maul, aus dem eine lange rote Zunge schnellte.
Doch bevor sie Gordon erreichen konnte, riß der Junge die Schranktür auf und sprang hinein. Er schloß die Tür schnell und drehte sich bebend vor Angst um.
Zum erstenmal las er nicht nur über solchen Horror, sondern er befand sich mittendrin. Es war schlimmer, als er es sich beim Lesen vorstellen konnte.
»Gordon, du mißratenes Stück!« kreischte draußen seine Großmutter. »Komm heraus! Komm aus dem Schrank, du elender Feigling! Komm zu deiner Großmutter!«
All das bekam James Lukas nicht mit. Er sah seinen Enkel nicht mehr, hoffte, daß es dem Jungen gelungen war, sich in Sicherheit zu bringen.
Aber war Gordon im Schrank schon sicher? Zweifel quälten den alten Mann. Er hatte einmal auf das schleimige Scheusal geschossen und nicht die geringste Wirkung erzielt.
In seiner Angst um den Jungen wußte er nichts anderes zu tun, als abermals abzudrücken. Er zielte auf die verschiedensten Stellen und krümmte immer wieder den Finger am Abzug.
Da reagierte das Wesen. Es bildete eine Faust, die blitzschnell zuschlug. Sie traf die Pistole. Die Waffe wurde dem alten Mann aus der Hand gerissen.
Sie wirbelte durch den Raum, knallte auf den Boden und kreiselte unter Gordons Bett.
Lukas brüllte in ohnmächtiger Wut auf. War diesem schrecklichen
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