1790 - Erst Feuer, dann Asche
beide Arme vor, ohne jedoch etwas erreichen zu können.
Sie spitzte plötzlich die Lippen, als wollte sie ihn küssen. Sean Curtis wusste nicht, was er davon halten sollte. Einen Kuss von ihr konnte er sich nicht vorstellen. Es sei denn …
Nein, die Gedanken rissen ab, denn die Blonde reagierte. Und sie war schnell. Aus dem Stand sprang sie auf Curtis zu, der zwar zuckte, aber nicht zur Seite hin wegkam. Die Wiedergängerin griff zu.
Sean Curtis hatte den Eindruck, als wäre er von einem Tier überfallen worden. Der Griff war ungeheuer hart. Er wollte die Hand abschütteln, was er nicht schaffte, stattdessen zerrte die Cavallo ihn zu sich heran. Er prallte gegen sie und hatte den Eindruck, gegen einen harten Widerstand zu stoßen. Er wollte etwas sagen, sich auch zur Seite drehen, als er den nächsten Stoß bekam.
Der gab ihm den Rest. Er taumelte zurück, stieß noch gegen ein Hindernis, rutschte daran ab und fiel. Auf dem Boden landete er nicht, denn seine Widersacherin hatte ihn auf eine Bank geschleudert, auf die er rücklings gefallen war. Er schlug noch mit dem Hinterkopf auf, dann blieb er liegen und holte nur noch Luft. Verschwinden konnte er nicht mehr, denn da gab es zwei Hände, die seine Beine festhielten.
Und es gab eine Person, die zu ihm in die Kirchenbank kroch und dabei auf ihn glitt. Seine Arme zuckten. Er wollte die Gestalt mit den blonden Haaren von sich wegstemmen, doch es war nichts zu machen. Er bekam sie einfach nicht von sich herunter.
Und dann sah er ihr Gesicht dicht über dem seinen schweben. Er sah die geöffneten Augen, in denen einzig und allein die Gier zu lesen war, die sie beherrschte.
»Ich habe Hunger, mein Freund.«
Er sagte nichts, grinste nur. Seine Kehle war plötzlich trocken geworden. Dann bewegte er zuckend die Augen. Er wollte noch etwas sagen, aber er kam nicht mehr dazu.
Sie blies ihm Luft ins Gesicht und auch gegen seine linke Halsseite.
Er wusste, was da lief. Sie hatte bereits die Stelle markiert, an der sie zubeißen würde.
Weit war ihr Mund offen. Er bildete jetzt ein Maul, aus dessen oberer Hälfte zwei Zähne hervorschauten, deren Spitzen nur darauf warteten, sich in ihren Hals rammen zu können.
Nach einigen Sekunden war es der Fall.
Da zuckte der Kopf der Blutsaugerin nach unten. Und jetzt hatten die Zähne ihr Ziel erreicht.
Sean Curtis spürte nicht viel. Das Zucken der Haut, dann den Schmerz, der sich im ersten Moment sehr scharf anfühlte, dann aber verging.
Er war nicht fähig, etwas zu unternehmen. Er lag auf der Bank, starrte gegen die Kirchendecke, und an seiner linken Halsseite hatten sich die Zähne der Blonden regelrecht festgebissen.
Sie saugte!
Und wie sie das tat. Sie bewegte dabei zuckend ihren Kopf, er hörte sie schmatzen, und sie stieß hin und wieder ein zufriedenes Grunzen aus. Das alles hörte Sean Curtis. Es war unbegreiflich. So anders, zum Lachen eigentlich.
Und doch entsprach es der Realität.
Er war derjenige, der sein Blut verlor, das man ihm raubte, weil eine andere Kreatur satt werden wollte. Eigentlich eine schlimme Sache, die er aber nicht als so schlimm ansah. Es ging ihm doch gut. Er brauchte nichts zu tun, als sich der bleiernen Erschöpfung hinzugeben. Es war toll, es ging ihm gut.
Nur wurden die Denkphasen immer zerfaserter. Er dachte an etwas, und wenig später war es verschwunden. Einfach weg, und er konnte sich an nichts mehr erinnern.
Er starrte noch immer in die Höhe. Die Umgebung dunkelte ein, und das war eine Tatsache. Um ihn verschwand alles und konzentrierte sich dann auf einen Punkt.
Und das offene Maul hing noch immer an seinem Hals.
Er wusste nichts mehr. Er hatte Probleme, sein Sehen funktionierte nicht mehr, wie es sein sollte. Die andere Existenz griff bereits mit ihren Riesenpranken nach ihm.
Und dann verlor er das, was er als sein Leben bezeichnete. Er konnte nichts dagegen tun. Es gab keine Kraft mehr in ihm. Er sah auch die Vampirin nicht, obwohl er sie sehen wollte und die Augen aufgerissen hatte.
Die Cavallo richtete sich auf. Sie stöhnte wohlig, denn das hatte sie gebraucht.
Jetzt war ihre Kraft zurückgekehrt. Während sie sich aus der Bank schob, umfuhr sie mit der Zunge ihre Lippen, um noch die letzten Tropfen abzulecken.
Es war okay. Sie hatte wieder mal gewonnen. Jetzt ging der Weg weiter. Nichts war mehr von ihrer Schwäche zu spüren, die sie für einige Zeit in ihren Klauen gehalten hatte. Zwar hatte sie noch nicht ihre alte Stärke erreicht, aber das würde nur noch
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