1796 - Höllenbotin Helma
betrat …
***
Von uns war niemand in der Lage, etwas zu sagen. Diese Erscheinung hatte uns völlig überrascht. Damit hatten wir alle nicht gerechnet, mich eingeschlossen.
Es war tatsächlich die Frau auf dem Gemälde. Sie trug sogar das rote, hoch geschlossene Kleid.
Sie ließ die Tür offen, als sie einen Schritt in das Zimmer hinein ging.
Mein Kreuz schickte mir keine Warnung. Ich verließ mich darauf, dass die teuflische, die böse Seite nicht dabei war. Aber ich fragte mich auch, ob ich überhaupt eine normale Gestalt vor mir hatte. Sie sah nicht aus wie ein Geist. Für mich hatte sie einen festen Körper, aber davon hatte ich mich noch nicht genau überzeugt.
Ich schaute ihr ins Gesicht. Es sah so aus wie auf der rechten Hälfte, das hatte sich schon in meiner Erinnerung festgesetzt. Ich ging zudem davon aus, dass diese Frau harmlos war, aber ich fragte mich auch, weshalb sie hier erschienen war und uns einen Besuch abgestattet hatte. Dahinter musste etwas stecken. Wollte sie provozieren oder einfach nur schauen?
Ich wusste es nicht, ich konnte auch von den anderen in diesem Zimmer keine Antwort erwarten, und ich hörte dann die Stimme meines Freundes Suko.
»Ich denke, John, das ist dein Spiel.«
»Ja.«
»Was ist mit dem Kreuz?«
»Es hat sich noch nicht gemeldet. Also haben wir es mit einer harmlosen Person zu tun.«
»Das ist gut.«
Die Besucherin tat nichts. Sie blieb stehen und bewegte nur ihre Augen, weil sie alles mitbekommen wollte. Deshalb sah sie auch, dass ich leicht zusammenzuckte und dann aufstand.
Ich behielt sie im Blick. Sie sollte sehen, was ich tat und dass sie mein Ziel war. Ich ging mit langsamen Schritten und konzentrierte mich nur auf sie. Alle anderen Gedanken, die in mir hochkamen, verscheuchte ich.
Vor ihr blieb ich stehen. Wir standen jetzt so, dass wir uns ins Gesicht schauen konnten. Ich stellte bei ihr nichts Unnormales fest. Ihr Mund war zu einem schwachen Lächeln verzogen. Es waren die Lippen, die ich kannte. Nur waren sie hier voll ausgebildet. Dafür fehlte aber der Flügel.
»Wer bist du?«, fragte ich leise.
Ihre Augen leuchteten für einen Moment auf. »Mein Name ist Helma …«
Ich lächelte. Eine weiche Stimme hatte mir die Antwort gegeben. Sie hörte sich an, als würde die Gestalt nicht direkt vor mir stehen, sondern weiter entfernt sein.
Sie war also Helma. Das bewies mir, dass ich mich auf der richtigen Spur befand.
»Und du lebst?«
»Ja.«
»So wie wir?«
Jetzt musste sie nachdenken. Nach einer Weile schüttelte sie den Kopf. »Nein, nicht …«
»Wer bist du dann?«
»Ich war sehr fromm. Ich bin es auch noch. Und ich habe mir vorgenommen, den Weg zu den Engeln zu finden. Für mich war es wichtig, zu ihnen zu gelangen.«
»Und ist dir das gelungen?«
»Ja. Sie haben mich sogar gewollt. Sie gaben mir Flügel, damit ich ein richtiger Engel sein konnte, aber ich habe nur noch einen davon. Es ist schwer, das weißt du auch, denn ich spüre bei dir den Einfluss der himmlischen Geschöpfe.«
Dem widersprach ich nicht. Ich wusste auch, was sie gemeint hatte. Sie hatte mein Kreuz nicht gesehen, sie musste es aber gespürt haben, und auf ihm hatten ja die Erzengel ihre Zeichen hinterlassen.
Ich nickte ihr zu, was sie beruhigen sollte. Dann fragte ich: »Was ist geschehen?«
»Ich bin hier.«
»Ja, aber es muss noch etwas passiert sein. Ich weiß es. Ich habe dich gesehen …«
Sie nickte.
»Hast du hier gewohnt?«
»Ja, früher.«
»Da bist du noch ein Mensch gewesen – oder?«
»Ja, das war ich. Aber ich war schon auf dem Weg. Die Engel haben mich in ihren Kreis aufgenommen, zwar in den unteren Rang, aber ich war in der Lage, sie zu sehen. Sie haben sich mir gezeigt, was sie sonst nicht bei Menschen tun. Die können sie höchstens riechen oder als einen Lufthauch spüren, aber ich habe sie gesehen. Und es war wunderbar. Ich wollte immer nur Gutes tun. Ich wollte anderen Menschen meine Engelsbotschaft bringen, das hatte ich mir vorgenommen, und ich hätte es auch in die Tat umgesetzt. Von diesem Haus aus wollte ich meine Kreuzzüge beginnen, doch es kam anders.«
Ihre Stimme sackte weg. Sie wurde traurig, und wir alle hörten das leise Stöhnen.
Ich wollte unbedingt, dass sie weiter sprach, denn das dicke Ende würde noch kommen.
»Man hat dich nicht gelassen – oder?«
Ich fing einen Blick ihrer hellen Augen auf, sah auch ihr Nicken und hörte wieder die Stimme.
»So war es.«
»Und wer war gegen dich? Ich glaube nicht, dass
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