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18 - Orangen und Datteln

18 - Orangen und Datteln

Titel: 18 - Orangen und Datteln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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den Pferden die Vorderbeine so zusammen, daß sie zwar grasen, aber sich nicht weit entfernen konnten, und legten uns dann schlafen.
    Da wir so zeitig zur Ruhe gegangen waren, wachten wir am anderen Morgen sehr früh auf; der Tag begann zu grauen. Wir aßen einige Datteln, sattelten die Pferde und ritten weiter. Wir kamen an den Bogen, den das Tal macht, und wollten eben um die innere Ecke desselben biegen, als wir jenseits derselben eine laute Stimme rufen hörten:
    „Haï álas-salah ia mu'minin! Allah akbar; Allahu akbar – Auf zum Gebet, ihr Gläubigen! Gott ist groß; Gott ist groß!“
    Wir ritten sofort ein Stück zurück, stiegen ab und gingen dann vorsichtig wieder vor, um, hinter der Krümmung versteckt, nach vorn zu sehen, was für Leute wir vor uns hatten.
    Was wir erblickten, war keineswegs erfreulich. Es lagerte da ein Trupp von gegen zwanzig sehr gut bewaffneten Männern mit ihren Tieren. Wir zählten sechzehn Reit- und acht Lastkamele, dazu sieben Pferde. Wie konnte das stimmen? Da waren doch wenigstens drei Pferde zu viel! Diese Männer knieten jetzt auf ihren Gebetsteppichen und beteten das Fagr, das Gebet bei der Morgenröte. Ihre Tiere waren alle abgesattelt und grasten. Die Sättel lagen auf einem Haufen beisammen; daneben standen die Gegenstände, welche die Lastkamele getragen hatten – sechzehn hölzerne Särge, je zwei für ein Kamel. Wir hatten eine sogenannte Karwan el Amwat, eine Karawane der Toten vor uns. Und da, hinter diesen Särgen, sahen wir zwei Menschen liegen, welche an Händen und Füßen gefesselt waren. Das erklärte das Rätsel der überflüssigen Pferde. Nämlich die zwei Reiter, welche wir gestern gesehen hatten, waren hier auf die Karawane gestoßen und von den Leuten derselben ergriffen worden.
    Diese letzteren waren keine Sunniten, sondern Schiiten. Die Sunniten, welche man die orthodoxen Mohammedaner nennen könnte, erkennen Abu Bekr, Omar und Othman als Kalifen an, während die Schiiten diese drei verwerfen und nur Ali und dessen Nachfolger für rechtmäßig erklären. Zwischen beiden herrscht ein grimmiger Haß, welcher besonders zur Zeit der schiitischen Wallfahrten in hellen Flammen auflodert. Dieser Haß ist eine Folge der Leiden, welche die Söhne Alis auszustehen hatten. Der Jüngere von ihnen, Hussein, wurde ermordet und in Kerbela begraben; darum ist diese Stadt der heiligste Wallfahrtsort der Schiiten, welche ihre Toten von weither bringen, um sie dort zu begraben. Diese Leichen werden bis zu einer passenden Gelegenheit aufbewahrt, um dann in größeren oder kleineren Karawanenzügen nach Kerbela geschafft zu werden. Während dieser Totenzüge befinden sich die Beteiligten in einer religiösen Aufregung, welche an Wahnsinn grenzt und sie zu allen Untaten gegen Andersgläubige fähig macht; den Beweis dazu hatten wir jetzt vor uns liegen.
    „Siham Allah fi ada ed din – Allah möge die Feinde der Religion durchbohren!“ flüsterte mir Halef zu. „Das sind ja verdammte Schiiten! Sie haben die beiden Reiter überfallen und werden das auch mit uns tun wollen, wenn sie uns sehen. Sihdi, was werden wir beginnen?“
    „Schnell fliehen“, antwortete ich, um ihn auf die Probe zu stellen.
    Was ich vermutet hatte, das geschah: Der kleine wackere Mann antwortete zornig:
    „Fliehen? Zwei solche Männer, wie wir sind? Vor diesen gemeinen Totengräbern? Ja, es wäre klüger, sie zu meiden; aber sollen wir den Gefangenen nicht beistehen? Das wäre feig! Wer weiß, was sie mit ihnen vorhaben. Diese tollen Bekenner der Schia sind imstande, sie qualvoll zu töten. Wir müssen die armen Teufel retten, und ich hoffe, Sihdi, daß du damit einverstanden bist!“
    „Allerdings, aber da dürfen wir nicht hier bleiben; wir müssen uns einen Punkt aussuchen, welcher ihr Lager besser beherrscht und unseren Leibern Sicherheit bietet. Komm!“
    Wir stiegen wieder auf, ritten bis an den Ausgang des Tales zurück und bogen dann außerhalb desselben scharf ein, um an seinem Rand emporzureiten, bis wir uns grad über der Karawane befanden. Da stiegen wir wieder ab, trieben unsere Pferde eine Strecke fort, damit sie nicht von unten gesehen werden könnten, legten uns auf die Erde nieder und krochen vorsichtig bis an den Rand, um in das Tal hinabzublicken.
    Wir befanden uns auf einer vielleicht zwanzig Ellen hohen und ziemlich steilen Böschung, grad über dem Mittelpunkt des Lagers. Dieses hatte eine so geringe Ausdehnung, daß ich mit meinem Henrystutzen die zehnfache Länge

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