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18 - Orangen und Datteln

18 - Orangen und Datteln

Titel: 18 - Orangen und Datteln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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hätte bestreichen können. Das Gebet war vorüber; man hatte den Gefangenen die Fesseln an den Füßen gelöst und einen Kreis um sie gebildet, in dessen Mitte sie standen, und beriet sich unter wüstem Geschrei, welches Schicksal sie erleiden sollten.
    Eben zuckte der erste Strahl der aufgehenden Sonne über das Tal; da erhob der eine der Gefangenen die gefesselten Hände und rief:
    „Ia schems, ia schems! Ia schems, il hamdulilla – O Sonne! O Sonne! O Sonne! Gott sei Dank! Du wirst uns retten vom gräßlichen Tod, der uns droht, denn wir stehen im Nûr esch Schems, unter deinem Licht und Schutz! Laß uns nicht schon jetzt über die Brücke Tschinevad ins Jenseits schreiten, sondern vertreib mit deinen Strahlen die bösen Geister Ahrimans und sende uns Ormuzds reine Engel zu Hilfe!“
    Ein schallendes Hohngelächter antwortete ihm, und das Brüllen und Schreien begann von neuem in einer Weise, daß wir die einzelnen Worte und Ausrufe nicht unterscheiden und verstehen konnten. Aus seinen Worten hatten wir gehört, daß er ein Parsi war, also einer der Anhänger der zoroasterschen Lehre, welche die Sonne und das Feuer als Sinnbilder ihres guten Gottes Ormuzd anbeten. Als eine Pause in dem Geschrei entstand, rief er wieder mit erhobenen Annen:
    „Ia schems, ia ilaha, ia nefisa, ia challasa – O Sonne, o Göttliche, o Herrliche, o Retterin! Du mußt und wirst uns retten, denn ich trage ja dein Tilsim (Talisman) auf meinem Herzen!“
    Wieder wurde mit Gelächter geantwortet, und dann gebot einer, welcher der Anführer war:
    „Macht es kurz mit den ungläubigen Hunden; ihnen geschehe, wie ich schon gestern abend geboten. Wir haben hier ja Platz zur Runde!“
    Was für eine Runde sollte das sein? Was meinte er mit diesem Wort? Wir sollten es gleich sehen. Es wurden mehrere Stricke zusammengeknüpft und mit dem einen Ende an den Nasenriemen eines Pferdes befestigt; das andere nahm einer der Kerle in die Hand. Dann schlang man den Gefangenen kürzere Stricke um die Handgelenke und band dieselben rechts und links an den Bauchgurt des Pferdes.
    „O Allah! Man will sie zu Tode schleifen! Siehst du es, Sihdi?“ fragte Halef.
    Natürlich sah ich es! Das Pferd sollte an dem langen Strick welcher als Longe diente, im Kreis herumgetrieben werden und die beiden armen Menschen hinter sich her schleppen, bis sie tot waren. Wir durften nicht länger zögern, denn schon machten sich mehrere Schiiten mit ihren langen Lanzen bereit, das Pferd mit den Spitzen derselben anzutreiben.
    „Fangt an!“ gebot der Anführer. „Was zögert ihr lange!“
    Da erhob ich mich mit Halef und rief hinab:
    „Halt, bei Allah, haltet ein, wenn ihr nicht selbst verderben wollt!“
    Sie fuhren alle herum und blickten vor Überraschung sprachlos zu uns herauf.
    „Bindet diese beiden Männer augenblicklich los, und gebt sie frei, sonst sterben nicht sie, sondern ihr fahrt zur Dschehennah (Hölle)!“
    Die Leute schwiegen noch immer, so betroffen waren sie; dann fragte der Anführer:
    „Wer seid ihr denn, daß ihr es wagt, uns stören zu wollen?“
    „Wir sind Retter in der Not, denen niemand widerstehen kann. Mein Gewehr allein reicht hin, euch alle in einer Minute zu töten. Paßt auf, ich werde es euch beweisen; da drüben steckt eine Lanze in der Erde; ich werde ohne zu laden, sechs Löcher in dieselbe schießen.“
    Ich hatte dieses Experiment mit meinem Stutzen oft gemacht und stets war es mir gelungen, die Betreffenden dadurch einzuschüchtern. Vielleicht war es mir auch jetzt möglich, die Gefangenen durch dasselbe zu befreien und Blutvergießen zu verhüten. Ich legte also den Stutzen an, zielte und drückte schnell hintereinander ab. Sie eilten nach dem letzten Schuß hin, die Lanze zu betrachten, wodurch ich Zeit gewann, die sechs verschossenen Patronen unbemerkt von ihnen zu ersetzen. Es ertönten laute Ausrufe der Verwunderung; den Anführer hörten wir sagen:
    „Allah bewahre uns! Das ist ein Dschiht es Sihr, ein Zaubergewehr, welches man nicht zu laden braucht und womit man dennoch ganz genau die Ziele trifft.“
    „Du hast recht gesprochen“, antwortete ich. „Eine Minute genügt, euch alle mit dieser Zauberflinte tot ins Gras zu strecken; es schießt so schnell und sicher, daß keiner von euch Zeit zur Flucht finden würde. Gebt also die Gefangenen frei, sonst schieße ich!“
    „Seid nur ihr zwei da oben?“ fragte er.
    „Zwei oder hundert, das ist ganz gleich; mein Gewehr allein genügt.“
    „Wir schießen

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