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18 - Orangen und Datteln

18 - Orangen und Datteln

Titel: 18 - Orangen und Datteln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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vorzukommen pflegt. Ich legte an. Es war nicht Furcht und nicht Angst, was ich in diesem Augenblick empfand; es gibt keine Bezeichnung für das Gefühl, welches jede Faser in mir anspannte. Die rollenden Augen glühten mir vernichtend entgegen, der Schwanz krümmte sich verräterisch; die kraftvollen Pranken zogen sich zum Sprung zusammen, ein kurzes Zucken ging über den sich niederduckenden Leib – ich drückte los und sprang sofort zurück, das Messer aus der Scheide ziehend.
    Der Löwe hatte sich im Augenblick des Schusses emporgeschnellt; er stürzte mitten im Sprung zur Erde, wälzte sich einige Male hin und her und blieb dann unbeweglich liegen. Meine Kugel war ihm in das Auge gedrungen – er war verendet.
    „Hamdullillah, Allah akbar, Preis sei Gott, der Herr ist groß!“ erscholl es aus allen Kehlen. „Hasa nessieb, das hat Gott geschickt; der Kelb, der Hund, der Sohn von einem Hunde, der Enkel von einem Hundesohn ist tot; er ist schmachvoll gefallen, gestürzt und gestorben wie ein Ungläubiger, ohne Ruhm und Ehre. El Thibb, der Schakal, und el Tabäa, die Hyäne, werden ihn fressen; el Büdj, der gewaltige Bartgeier, mag ihm das feige Herz zerhacken, und el Rhassahl, die Gazelle, mag ihn und seine Väter beschimpfen, ihn, der ohne Kampf und Gegenwehr aus dem Lande der Lebendigen gegangen ist. Er, der sich el Jawuhs, den Grausamen, nennen ließ, muß aus seinem Fell steigen. Holt die Hariri, die Musikanten, herbei; sie mögen auf der Nogara seine Schande trommeln und ihm mit der Rababa seine Schmach vorpfeifen!“
    So klang es jubelnd und verhöhnend von allen Seiten. Man trat den toten Körper mit den Füßen; man schlug ihn mit den Fäusten, stieß ihn mit den Kolben und spie ihn verächtlich an. Die Spannung hatte mich verlassen; es war mir, als sei ich einer unvermeidlichen Todesgefahr entgangen, und tief atmend sah ich dem Treiben der heißblütigen Söhne einer glutüberflutenden Länderstrecke zu, die mich in ihrem Eifer um das gefallene Tier vollständig übersahen.
    „Maschallah, tausend Schwerebrett“, meinte der Staffelsteiner, „is dos aan Gejauchz' und Gelärm'! Ich werd' nur schaun, ob sie sich halt auch bedanken werd'n!“
    „Ama di bacht, welch ein Glück, daß du noch zur rechten Zeit gekommen bist!“ klang es da neben mir.
    Es war der, der zuletzt unter dem Löwen gelegen hatte. Von langer, hagerer, aber sehniger Figur, besaß er ein Gesicht, welches die Sonne beinahe schwarz gebrannt hatte. Seine großen, scharfen, dunklen Augen hatten ein eigentümliches Licht. Ein zorniger Blick aus ihnen konnte wohl auch einen beherzten Mann aus dem inneren Gleichgewicht bringen, das war ihnen leicht anzumerken.
    „Gib nicht mir, sondern dem Herrn die Ehre, der dich errettet hat!“ antwortete ich, vielleicht etwas unfreundlicher als ich selbst beabsichtigte. Ich hätte diesem Mann nie mein Vertrauen schenken mögen.
    „Ja, Allah die Ehre und dir den Dank!“ stimmte er bei, indem sein Auge scharf und forschend über mich glitt. „Du bist fremd unter den Kindern der Wüste?“
    „Ich komme aus Frankistan, um Assad-Bei, den Herdenwürger, zu töten.“
    „Du hast ihn getötet; Allah gab dir Heil und Gnade.“
    Er wandte sich jetzt zu den noch immer schreienden und jubilierenden Arabern.
    „Laßt ihn gehen, den Herrn mit dem dicken Kopf! Er hat seine Schande genugsam vernommen, und seine Seele wird in die Haut eines Flohes fahren. Auf, ihr Männer, laßt uns Allah danken, der uns errettet hat. Kniet nieder und betet mit mir die heilige Fattha!“
    El Fattha (die Eröffnung) ist das erste Kapitel des Koran, welches bei allen religiösen Handlungen der Moslemin eine Hauptrolle spielt. Die Männer knieten, das Angesicht gegen Morgen gewandt, nieder und beteten eintönig:
    „Lob und Preis dem Weltenherrn, dem Allerbarmer, der da herrscht am Tage des Gerichts. Dir allein wollen wir dienen, und zu dir wollen wir flehen, auf daß du uns führest den rechten Weg, den Weg derer, die deiner Gnade sich freuen, und nicht den Weg derer, denen du zürnest, und nicht den der Irrenden!“
    Nach Beendigung des Gebetes wandten sie nun auch mir ihre volle Aufmerksamkeit zu. Die Fragen und Lobpreisungen wollten kein Ende nehmen, bis endlich einer von ihnen meine Hand ergriff und mich ihnen entzog.
    „Du hast nur ruhen wollen unter dem Dach des Arabers, aber du mußt bei uns bleiben viele Tage! Ich bin der Bei-el-Urdi der Vorsteher des Lagers, und du sollst mein Zelt haben, so lange es dir bei uns

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