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aus, sondern sie ziehen aus. Ich weiß noch nicht, was jetzt wird. Eigentlich habe ich keine besondere Lust, erwachsen zu werden.“ Ich hielt inne, trank einen Schluck, doch sie wartete einfach, bis ich weiterredete. „Ich hatte so was wie eine Freundin, jetzt wohl nicht mehr. Keine Freundin mehr, kein Zuhause mehr. Ich weiß nicht, wo ich hingehöre, und ich weiß nicht, warum ich irgendwo nicht hingehöre. Das ist mein Problem im Moment.“
„Das ist schlimm.“
„Ja. Nein. Nicht so schlimm, wie ein Baby zu bekommen.“ Ich bereute es sofort und fasste ihren Arm. „Excusé moi“, sagte ich.
„Ich weiß schon, was du meinst. Doch ich kann mir mein Leben ganz gut vorstellen. Das hat mir früher öfter Sorge bereitet: Dass ich mir mein Leben nicht vorstellen konnte und nicht wusste, wie es weitergehen würde. Doch jetzt weiß ich es, ich weiß es von Housak. Und das ist mehr, als manche Frau von ihrem Mann erfahren hat.“
Ich trank meine Büchse leer und zerdrückte sie in der Hand, stand auf und sah zu ihr herunter. „Wie lange musst du hier noch sitzen?“, fragte ich.
„Bis sieben. Wie spät ist es?“
„Ich weiß nicht. Noch nicht so spät, doch es wird nicht mehr lange dauern. Kann ich dich irgendwohin fahren?“
„Nein. Mein Vater holt mich ab. Vielen Dank. Eine gute Fahrt wünsche ich dir und viel Glück mit deiner Freundin. Wie heißt sie?“
„Ann. Sie heißt Ann.“
„Semme und Ann. Das klingt hübsch.“
Ich drehte mich um und ging zu meinem Wagen, setzte mich hinein, startete den Motor und fuhr los. Ich winkte aus dem Fenster, und sie verschwand im Rückspiegel.
Ich fuhr wieder an dem Parkplatz vorbei, sah Schilder Richtung Paris. Es war bereits Abend, als ich die Autobahn erreichte und ein Billet zog. Es wurde dunkler und voller auf der Autobahn, ich fuhr weiter, stellte das Radio an, hörte Chansons und freute mich und dachte an Janine. Mein Benzin ging zur Neige. Ich hielt an einer Raststätte, tankte und spürte meinen knurrenden Magen. Ich kaufte einige Kekse und als ich mein Auto aufschloss, trat ein Bursche auf mich zu.
„Können Sie mich mitnehmen?“ Er nannte mir den Namen einer Stadt in Deutschland.
„Hast du einen Führerschein?“, fragte ich. Er musste älter sein als ich und siezte mich.
„Ja.“
„Zeig mal.“
Er zeigte ihn mir. Sah echt aus. Der Name war Knusprig oder Klottrig oder so. Ich vergaß es sowieso. „Steig ein“, sagte ich. „Du fährst.“
Er stutzte einen Moment, dann holte er seinen Seesack, warf ihn hinten ins Auto und setzte sich auf den Fahrersitz. Er stellte die Spiegel und Fahrersitz gewissenhaft ein. Ich beobachtete ihn und aß meine Kekse. Er startete den Wagen und fuhr los. Er fuhr gut und sicher. „Du fährst jetzt soweit du willst, doch sobald du müde wirst, weckst du mich, ok?“
„Ist gut.“
„Wenn du müde wirst, sofort anhalten“, wiederholte ich.
„Ist gut.“
„Hier steckt das Billet für die Autobahngebühr. Hier ist französisches Geld.“ Ich schraubte meinen Sitz zurück und legte mich flach, faltete die Windjacke als Kopfkissen, griff mir die Decke, regelte die Heizung etwas höher, schloss die Augen und schlief. Ich wurde wach, als der Bursche mich an der Schulter berührte.
„Hallo“, sagte er ständig.
„Hallo“, murmelte ich halbwach und schälte mich aus der Decke. Der Wagen rollte nicht mehr. Ich sah eine mäßig belebte Vorortstraße um uns herum. Der Tag hatte bereits begonnen. „Und?“, fragte ich.
„Ich bin da“, sagte er verlegen.
„Wo da?“
„Zuhause. Ich wollte dich nicht wecken. Na, dann ... danke und gute Fahrt noch.“ Er sah mich noch mal an, stieg aus, packte seinen Seesack. „Zur Autobahn immer geradeaus.“ Er ging einen mit holprigen Gehsteigplatten ausgelegten Weg zwischen Hecken hindurch zu einem unscheinbaren vierstöckigen Haus in irgendeinem Vorort und verschwand. Ich kletterte auf die Fahrerseite, startete den Motor, gähnte und reihte mich in den Verkehr ein. Ich fand die Autobahn. Die Tankuhr zeigt über dreiviertel voll. Der Bursche musste sogar nochmals getankt haben. Ein wolkenverhangener Himmel drückte sich von Horizont zu Horizont, viel Verkehr, ein mittlerer Montagmorgen.
Der Tag war noch weiter fortgeschritten, als ich vor dem Haus meiner Eltern anhielt. Ich schloss die Haustür auf und meine Mutter rief: „Bist du es?“ Ich ging in die Küche und setzte mich zu ihr auf die Bank. Sie saß dort vor einer großen Tasse mit Kaffee bei ihrem zweiten
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