Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
18

18

Titel: 18 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Luengen
Vom Netzwerk:
Filzstift, fast gemalt. Es sollte wohl eindringlich wirken. Sie war keine Poetin. Damit waren auch die Anrufe der Nacht geklärt. Ich fuhr los zur Promenade. Am Kirchturm hing eine Uhr, und sie zeigte zehn Minuten nach elf. Sie hatten inzwischen weiße Eisentische mit den üblichen Plastikstühlen auf dem Bürgersteig stehen. Schräg gegenüber war ein freier Parkplatz, und ich hielt dort, schaltete den Motor ab und drehte den Rückspiegel so, dass ich die Tische sehen konnte.
    Sie saß allein an einem Tisch. Vor ihr auf dem Tisch stand eine Tasse. Sie spielte mit der Eiskarte. So nervös hatte ich sie noch nie gesehen. Ich hatte sie überhaupt noch nie nervös gesehen. Wenn ich zu ihr hinüber gegangen wäre, hätte sie die Eiskarte weggelegt und wäre überhaupt nicht mehr nervös gewesen. Ab und zu nahm sie einen Schluck aus ihrer Tasse. Sie hatte die Tasse bereits fast ausgetrunken, also war sie sicherlich schon weit vor 11 Uhr dort gewesen. Sie blickte die Promenade hoch und runter, betrachtete ihre Armbanduhr, spielte mit der Eiskarte. Ihre Haare wirkten hastig zurechtgemacht, sie trug die gleichen Sachen wie gestern, oder zumindest das, was ich von gestern in Erinnerung hatte. Ein Mädchen wartet auf mich in einem Lokal, meine Güte. Der Gedanke war mir fremd. Der Kellner kam schon zum zweiten Mal vorbei, und diesmal zahlte sie ihren Kaffee oder Kakao, stand auf und trat auf die Promenade. Ich duckte mich im Auto. Sie schaute nach links und rechts, zögerte und ging dann schnell von mir weg in die andere Richtung.
    Ich startete den Wagen und fuhr rückwärts aus der Parklücke. Ich sah nochmals kurz in den Rückspiegel. In diesem Moment drehte sie sich um, zögerte, und starrte in meine Richtung. Ich fuhr mechanisch einige Zeit weiter geradeaus bis eine Tankstelle auftauchte, wo ich anhielt und voll tankte.
    Ich fuhr wieder los, bog auf die Ausfallstraße ab, beschleunigte bis in den höchsten Gang und rollte aus der Stadt. Ich wechselte auf die Autobahn, fädelte mich in den Verkehr ein und schwamm mit in der endlosen Reihe von Fahrzeugen auf dem Weg ins freie Wochenende. Irgendwann schaltete ich das Radio ein und hörte den Liedern und dem Sprecher zu. An einer Raststätte besorgte ich mir eine Kleinigkeit zu essen und eine Flasche Sprudel und stieg wieder in meinen Wagen und fuhr weiter Richtung Westen. Ich überquerte die Grenze nach Belgien, ohne es überhaupt recht zu merken und fuhr weiter auf belgischen Autobahnen. Am Himmel sammelten sich ein paar hübsche weiße Haufenwolken, die langsam dunkler wurden.
    Als die deutschen Sender verschwanden, hörte ich eine Musikkassette und fuhr weiter geradeaus, und als in Frankreich die ersten Mauthäuschen auf der Autobahn auftauchten, bog ich ab. Ich merkte, dass ich wieder Hunger hatte. Meine Uhr zeigte den späten Nachmittag an. Es regnete leicht, doch nach einiger Zeit hörte es wieder auf. Ich sah ein Schild ‚Le Touquet, Paris-Plage’ und bog ab. Ich folgte den Schildern in die Dämmerung hinein und erreichte schließlich dieses ‚Le Touquet, Paris-Plage’ und rollte hindurch, ohne das Geringste im Dunkeln erkennen zu können. Ich fuhr weiter, bis es nicht mehr weiter ging. Ich stand auf einem Parkplatz. Ich stellte den Motor ab und saß in völliger Ruhe dort.
    Ich öffnete die Tür, stieg aus, streckte mich und sah mich um. Es war fast stockfinster, einige Laternen blinzelten in der Dunkelheit, vor mir erhob sich eine Sanddüne. Ich zog eine Windjacke hervor, schloss den Wagen ab und ging auf die Sanddüne zu, kletterte hinauf. Der Sand drang in meine Schuhe und ich begann schwerer zu atmen, spürte Salz auf meinen Lippen, und endlich hatte ich es geschafft. Ich stand dort oben, vor mir breitete sich eine endlose schwarze Fläche aus, die sich am Horizont mit dem dunkelblauen Nachthimmel traf. Helle schäumende Wellen brachen sich träge am Strand und zogen sich wieder zurück. Ein lauer Wind blies mir ins Gesicht, und es schmeckte nach Salz und Wasser. Ich blieb einfach stehen, ohne mich nur einen Zentimeter zu rühren, stand dort so lange vor dem Meer, bis meine Beine schmerzten und der Hunger im Magen wieder nachließ und ich das Stehen nicht mehr ertragen konnte.
    Vielleicht hatte ich mit Ann am Kiessee nicht lange genug auf dem Parkplatz hoch oben über dem Wasser gestanden. Ich stieg die Düne hinunter zum Meer, erreichte den festen Sand und ging entlang des dunklen Meeres. Ich schlug den Kragen meiner Windjacke hoch und steckte die Hände in

Weitere Kostenlose Bücher