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fest. Sie ließ uns in den Vorraum, wir zogen unsere Pullover aus und hängten sie an eine Garderobe aus wuchtigen Baumstämmen. Alessandra und Wiebke umarmten sich, und Wiebke bekam ihr Geschenk. Alessandra sagte: „Zwei weiße Streifen am Himmel haben uns direkt hierher geleitet.“ Dann verschwand sie auf die Gästetoilette. Wir sahen ihr nach.
„Es war wohl doch Zufall, dass wir auf dem Herbstfest der Schule nebeneinander gestanden habe“, sagte Wiebke.
„Sie steht auf Ford-Fahrer“, antwortete ich.
„Ich habe den Aufnäher gesehen“, sagte sie amüsiert. „Da kann ich nicht mithalten.“ Sie zeigte mir ihren Hintern, den kein Aufnäher schmückte.
„Alles wird gut“, sagte ich, steckte die Hände in die Hosentaschen und schlenderte mit ihr in den Wohnraum. Der Raum nahm fast die gesamte untere Etage ein, und in der Ecke prasselte ein Feuer in einem offenen Kamin. Vor dem Kamin stand ein Sessel. In dem Sessel saß Onkel Hank. Auf der Lehne des Sessels stand ein flaches Glas mit bernsteinfarbener Flüssigkeit und Eiswürfeln.
„Du hast schon Vorsprung“, sagte ich, neben ihm stehend. Onkel Hank sah mich an und grunzte: „Und den holst du nicht mehr ein. Du solltest bei solchem Wetter ausschließlich Opel fahren.“ Sein Gesicht glühte rot. Er zeigte mit dem Finger auf sein Glas, hob einen Daumen und nickte anerkennend, zeigte auf mich und dann auf den Sessel neben sich.
Ich schaute zu Alessandra hinüber, die mittlerweile in ein heiteres Gespräch mit Wiebke und Iris verwickelt war. Christoph und Daisy schmusten auf einer Bank. Frederick, der nie Alkohol trank, und Sabine standen stumm daneben. „Dann mal los“, sagte ich und ging in die Küche. Dort standen Timothy und Ann stumm nebeneinander. Ich machte mir ebenso stumm einen Whisky zurecht und ein Glas Wein für Alessandra und ging zurück ins Wohnzimmer. Ich gab Alessandra das Weinglas, sie lächelte mich an, und ich wusste, dass unser Leben wundervoll werden würde.
Ich ging weiter zu Onkel Hank und ließ mich in den Sessel neben ihn fallen. Ich nippte an dem Glas.
Er schaute in die Flammen. „Endlich seid ihr da, weißt du eigentlich wie es sich anfühlt, stundenlang alleine hier Whisky zu trinken? Erst verschwindest du mir ihr im Knutschzimmer vom Fisch und ich sitze alleine an der Theke. Jetzt tust du so, als ob du keine Karte lesen kannst und mir brennt inzwischen die Pelle vom Gesicht.“
„Ich war eben schon in der Küche dort drüben“, sagte ich.
„Wiebke hat gar keine Holzpaneele, aber Kacheln. Die sind auch abwaschbar. Sogar noch besser.“ Er schaute sich zufrieden um.
„Hast Du schon mal jemandem richtig auf die Fresse gehauen?“, fragte ich.
„Vergiss es“, sagte er und steckte sich eine Zigarre in den Mund, biss ein Stück ab, spuckte es in den Kamin und entfachte mit einem Streichholz einen kleinen Brand am anderen Ende. „Das bringt dir dein Abitur auch nicht zurück.“ Er steckte sich die Zigarre bis in den Hals und entspannte sich. Offenbar machte er sich immer noch Sorgen wegen seiner kleinen Aufgabe an der Tür. „Siehst du“, quetschte er hervor. „Für mich als Außenstehenden ist alles ganz einfach. Du hast eine neue Freundin und bist sehr glücklich mit ihr, und Ann hat einen neuen Freund und ist auch glücklich mit ihm. Das passiert jeden Tag auf der ganzen Welt. Das gehört dazu wie das Erwachsenwerden. So solltest du es betrachten.“
„Zwischendurch gab es da noch andere Betrachtungen“, sagte ich und schaute nach, wo Alessandra jetzt war. Sie unterhielt sich immer noch mit Wiebke und Iris. Sabine stand jetzt auch dabei.
„Timothy ist Mitglied in einem Schützenclub“, sagte Onkel Hank.
„Was soll das sein?“
„In einem verdammten Schützenverein. ‚Liebe Schützenbrüder und Schützenschwestern!’“ intonierte er so laut, dass Timothy es selbst in der Küche hören musste. Gemäßigt fuhr er fort: „Sieh es so, die Jungs werden wie die Papas. Alles bleibt wie es ist und sie alle werden Chef oder Arzt.“
„Ich glaube, du meinst eine Verbindung. Sie schlagen sich. Kein Schützenverein. Schützenvereine sind die mit der Musik.“ Ich sah wieder in Richtung Alessandra.
„Hauptsache wie Papa. Im Prinzip war es doch von Anfang an beschissen mit Ann. Ihr Vater hat eine Menge Kohle, und sie interessiert sich nicht die Bohne für die Dinge, die dich interessieren. O Semme. Anns Vater baut sich eine Riesenhütte oben am Waldrand.“
„Kennst du den Moment wo du eine Wut
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