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sie.
„Meine Schwestern stehen am Fenster“, sagte sie und stieg ein.
„O Gott“, sagte ich.
„Sie wissen es sowieso. Schwestern wissen immer alles“, antwortete sie, und ich legte ihre Tasche und den Schirm in den Gepäckraum, schaute am Haus hoch und erkannte zwei Gesichter an einem Fenster. Ich winkte freundlich. Die Gesichter verschwanden. Ich umrundete das Auto und stieg auch ein.
In der Eifel regnete es noch stärker. Der Regen prasselte gegen die Scheibe, Gischtfontänen spritzten aus den Radkästen und die Wischer quietschten in der schnellsten Stufe. Alessandra packte einen Fuchsschwanz aus und hängte ihn an den Innenspiegel. „Ein prima Auto“, sagte sie. „Und übrigens.“ Sie zog ihre Schuhe aus und drehte sich auf dem Beifahrerersitz zur Seite, so dass ich ihren Po in der knapp sitzenden Hose sehen konnte. Auf der Gesäßtasche fand sich ein runder Aufnäher: „Ich stehe auf Ford-Fahrer.“
„Hat meine Mutter mir gemacht.“ Wir lachten und sie zog die Beine an und lehnte sich bequem nach hinten. „Mannomann“, sagte sie. „Unsere Mütter sind tolle Kerle. Mein Vater fährt auch Ford. Meine Mutter sollte auch so einen Aufnäher haben.“
Ich hielt an, beugte mich zu ihr rüber und sagte ihr: „Ich stehe auf Ford-Fahrerinnen.“ Und wir hielten die Augen geschlossen und mein Herz klopfte, als wir uns küssten. Ich musste sie immer wieder anschauen während der Fahrt, und jedes Mal atmete ich tief durch. Unser ganzer Zeitplan kam durcheinander wegen der Anhalterei und des Anschauens und des Regens.
Es wurde dunkler und der Regen schien keinesfalls nachlassen zu wollen. Bald fielen die Tropfen wie ein Vorhang im Scheinwerferlicht herunter, überall um uns herum nur noch Wasser. Ich fuhr noch langsamer. Wir hatten geplant, vor der Dunkelheit anzukommen, da ich nicht genau wusste, wo das Haus von Wiebkes Eltern eigentlich lag. Nur eine Skizze mit undeutlich geschriebenen Ortsnamen hatte ich bekommen. Wir rollten weiter durch die Nacht. Irgendwann ging jedes Gefühl für Entfernung und Zeit verloren, nur noch auftauchende Kurven und Steigungen und das Hoffen auf ein Hinweisschild. Am Rand der Straße tauchten Häuser auf, hinter deren Fenstern schwaches Licht brannte. Später kamen wir durch Ortschaften, in denen nur eine einzige Laterne an der Hauptkreuzung brannte. Es waren völlig dunkle Geisterdörfer.
Alessandra fragte kein einziges Mal, ob wir uns endgültig verfahren hätten. Sie ließ ihren Kaugummi knallen, durchsuchte meine Kassetten und legte die „Toten Hosen“ ein. Das erste Lied verherrlichte die Jungs von der Opel-Gang und wir lachten. Sie sah so verdammt hübsch aus mit den hinter die Ohren gesteckten Haaren und dem Rollkragenpullover und so weiter. Ich dachte an einen Gasthof in einem kleinen Ort, wo uns eine mürrische Alte den Schlüssel für das Zimmer aushändigen würde und wir die Nacht im voraus bezahlen müssten und es karierte Federbetten gäbe.
„Ich habe deinen Vater gefragt, ob ich nicht in eurem Laden arbeiten könnte“, sagte ich nach einiger Zeit.
„Er war bestimmt begeistert.“
„Es war auch keine sehr gute Idee von mir.“
„Er muss den Imbiss bald zumachen.“
„Ich weiß.“
Später an einer Abzweigung war der gesuchte Ort in die Richtung ausgeschildert, aus der wir gerade gekommen waren. Mir kam zum ersten Mal der Gedanke, dass wir uns total verfahren hatten. Ich blieb einige Momente stehen, die Scheibenwischer schoben unaufhörlich die dicken Tropfen zu Seite. Ich schob den Automatikhebel wieder in die Fahrposition, wendete auf der engen Kreuzung und fuhr in die vom Wegweiser angezeigte Richtung. Alessandra hielt den Zettel mit der Wegbeschreibung auf den Knien und zeigte nach einigen Minuten stumm nach rechts, wo eine Abzweigung angezeigt wurde. Wir bogen in einen Feldweg ab, der schon tiefe Spurrillen im Matsch zeigte. Wir schlitterten um die Kurven. Die Hütte tauchte auf. Es war eher ein Haus. Die Fenster in der unteren Etage waren alle gelblich erleuchtet, und beim Näherkommen erkannten wir die anderen Autos vor der Tür. Wir waren die Letzten. Ich parkte und schaltete Licht und Motor aus. Ruhe kehrte ein.
Alessandra setzte ihre Strickmütze auf und steckte sich die Haare wieder hinter die Ohren. Sie sah umwerfend aus. Wir küssten uns noch einmal, stiegen aus und liefen das kurze Stück zur Eingangstür durch den dichten Regen. Ich drückte auf die Klingel, und Wiebke öffnete die Tür. „Es regnet immer noch“, stellte sie
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