1800 - Zeitraffer
ihre Entwicklung normalerweise längst abgeschlossen. Es sei denn, sie wurde plötzlich veränderten Bedingungen unterworfen; dass der Planet geotektonische Aktivitäten in diesem Ausmaß zeigte, lieferte einen wichtigen Hinweis. Wie gelangte Trokan an genügend Wärme, um nicht auszukalten und als tote Kugel durch das All zu treiben? Man brauchte sich nur zu überlegen, dass der Planet millionenmal schneller durch die Zeit raste als die Erde. Also kam auch nur ein Millionstel der Sonnenstrahlung auf Trokan an - wenn der Zeitraffer-Schirm überhaupt Strahlung von außen hereindringen ließ.
In Forscherkreisen tippte man, dass es der Schirm war, der die nötige Strahlung erzeugte. Der Schirm diente ganz offensichtlich als Sonnenersatz.
Sämtliche Aufnahmen zeigten den Planeten im Zustand allgegenwärtigen Zwielichts. Da unten existierten weder Tag noch Nacht, wie man es von der Erde und fast allen anderen Planeten kannte. Kantor stellte sich Trokan als eine Welt im ewigen Sonnenuntergang vor, „Jetzt ist Schluss", sagte plötzlich eine Stimme hinter ihm. „Was?" Kantor fuhr auf. „Wovon sprichst du, Benito? Von Trokan?"
„Nein. Schluss der Stimmabgabe. Die Wahl ist abgeschlossen."
„Mir wäre es lieber, NATHAN hätte die Aufnahme schon berechnet. Aber wie's aussieht, wird wohl noch die halbe Nacht vergehen."
„Oder mehr."
„Egal", meinte Kantor boshaft. „Wer braucht heutzutage schon noch Schlaf?" Wenn ein solch immenser Rechenaufwand betrieben wurde, wie das bei NATHAN und Trokan der Fall war, konnte es jederzeit zu Verschiebungen kommen. Kantor, Benito Grink und ein paar andere nutzten die tatenlose Zeit, der Wahlberichterstattung zuzusehen. Koka Szari Misonan, so prognostizierte die Presse seit Tagen, hatte keine Chance, diesen Wahlgang zu überstehen. Und genauso kam es. Die Ergebnisse erreichten eines nach dem anderen die solare Wahlzentrale, Sechshundert Systeme entschieden sich für den plophosischen Kandidaten. Koka Szari Misonan gewann Terra und die Wega-Welten, aber die anderen wichtigen Liga-Mitglieder besiegelten ihr Ende als Erste Terranerin.
Niemand schien sonderlich traurig zu sein, ausgenommen Misonans treue Parteigänger. Für die kommissarische Leiterin des Forschungszentrums Titan bedeutete es das Ende. Das wussten alle hier oben. Wahrscheinlich, so die landläufige Meinung, würde der neue Erste Terraner entweder Benito Grink oder einen Vertrauten aus seinem Stab mit der Leitung betrauen.
Myles Kantor hatte sich mit dem Thema „Buddcio Grigor" wenig beschäftigt. Er hielt den Plophoser für einen politischen Falken, für einen Verfechter militärischer Stärke. Grigors wichtigste Aussage schien es zu sein, dass sich Terra gegen Übergriffe von außen wehren müsse - was natürlich ohnehin der Fall war. Sein innenpolitisches Credo erschöpfte sich in dem Plan, die Kosmische Hanse ins Eigentum der LFT zu überführen. Ein starker Hanse-Chef, der dies hätte verhindern können, existierte nicht mehr. Nach Homer G. Adams Abwahl und Sheremdocs Tod war die Stelle nie wieder passend besetzt worden. Kantor hätte lieber Koka Szari Misonan behalten, die zwar politisch oft, schwach, dafür stets zurückhaltend und intelligent agiert hatte.
Dass er wiederholt und heftig den Kopf schüttelte, merkte er kaum. Er brachte für diese Wahl kein Verständnis auf. Als die Berichterstattung sich ihrem Ende zuneigte, hatte sich in der LFT ein politischer Wandel vollzogen, der nicht mehr rückgängig zu machen war. „Jetzt", sagte Benito Grink plötzlich. „Was? Ein Interview mit Buddcio Grigor?"
„Nein. Das Foto ist fertig."NATHAN spuckte in Form einer sich drehenden Holografie das Ergebnis aus. Noch in derselben Nacht erwachte das Forschungszentrum Titan zum quirligen Leben, wie man es aus den Stoßzeiten am Nachmittag kannte.
Die sechste Holo-Fotographie brachte den Geologen exakt jene Daten, die noch benötigt wurden. Danach galt als erwiesen, dass Trokan zwischen drei- und viermillionenfach schneller als vorher rotierte. Am wahrscheinlichsten schien ein Wert um 3,7 Millionen herum. Die eigentliche Sensation kam jedoch aus einer ganz anderen Richtung. Sie verfügten über ein exaktes Muster der Temperaturverläufe auf Trokan.
Wärme oder Kälte waren im Prinzip nichts anderes als das sichtbare Licht; sie ließen sich auf exakt dieselbe Weise aus dem Feld berechnen. Überall dort, wo Temperaturen um die zehn Grad Celsius herrschten - meist in Äquatornähe-, zog sich ein Schatten über Trokan,
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