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181 - Der ewige Turm

181 - Der ewige Turm

Titel: 181 - Der ewige Turm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Zybell
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zurückkehrenden Männer zu schützen. Normalerweise durften diese sich nicht blicken lassen während der Badezeit der Frauen; in der Halle nicht, auf der Balustrade nicht, und im Innenhof schon gar nicht. Doch die Heimkehrer kamen von einer wichtigen, für manche der Mädchen sogar lebenswichtigen Mission zurück. Da konnten sie keine Rücksicht auf die Badezeiten der Frauen nehmen. Und nicht einmal der Scheiko hätte es von ihnen verlangt.
    Gedämpftes Stimmengewirr ging in Getuschel über, Getuschel in vereinzeltes Flüstern, und als die Jäger die drei gefesselten Mädchen unter den Arkaden hindurch bis fast zu den Brunnen führten, war es still im Innenhof, sehr still. Die Jäger stießen die drei jungen Frauen zu Boden, machten kehrt und liefen zurück in die Moscherunenhalle, auf deren Männerseite die Gemeinschaftsräume, Werkzeugkammern und Waffenschränke der Fischer und Jäger lagen. Ihre Schritte verhallten nach und nach.
    Sayona erhaschte einen verstohlenen Blick ihrer Zwillingsschwester, und sofort überdeckte ihr Mitleid mit den Eingefangenen die Wut, die sie ebenfalls empfand: Hatten nicht auch Ballaya und sie Fluchtpläne geschmiedet? O ja, das hatten sie.
    Die Mädchen wagten nicht den Blick zu heben. Zwei von ihnen zitterten, die dritte zerrte an ihren Fesseln und hustete keuchend. Eynaya trat vor, stemmte die Fäuste in die Hüften und rief: »Ihr feigen Miststücke! Schämt ihr euch überhaupt nicht?« Sie bückte sich nach einem Stein und warf ihn nach den Gefesselten. Andere Mütter machten es ihr nach, und bald sammelten die meisten der Frauen im Innenhof Steine, Abfall oder Feuerholz auf und schleuderten es auf die am Boden liegenden Mädchen. Die Getroffenen heulten laut auf. Bald kauerten sie eng aneinander, versuchten sich gegenseitig zu schützen, weinten und schluchzten.
    Endlich lösten sich nun die Mütter der Drei aus der Menge an den Brunnen. Weinend rannten sie zu ihren Töchtern, entfernten ihre Fesseln und halfen ihnen hoch.
    Die anderen hörten auf, Steine und Dreck zu werfen.
    Unter den Beschimpfungen der anderen Frauen und mit eingezogenen Köpfen liefen sie zu den Treppen, flüchteten zur Balustrade hinauf und verschwanden in den Kammern ihrer Sippen.
    Ballaya stieß einen Fluch aus und fuhr fort, sich zu waschen. Sayona seufzte nur, und die Mütter kehrten zu den Brunnen zurück. »Dieses Gesindel denkt nur an sich«, zischte Eynaya und begann Sayona den Rücken zu schrubben. »Nur an sich, nur an sich…« Das war ihr Lieblingsspruch, und in letzter Zeit fragte Sayona sich oft, wie viele Menschen es im Stamm der Moscherunen geben mochte, die Kraft genug hatten, das Wohl des anderen genauso wichtig zu nehmen wie das eigene.
    Einer? Zwei? Der Scheiko? Oder ihre Mutter?
    Nach und nach legte sich die Aufregung. War eigentlich etwas Besonderes geschehen? Nein. Nur ein Vorfall, wie er sich Jahr für Jahr wiederholte; vorausgesetzt, man fing die Flüchtlinge wieder ein, was meistens geschah. Jedes Jahr nämlich versuchten ein paar Mädchen, sich der Auslosung durch Flucht zu entziehen.
    Sie zogen die Gefahr, in den Ruinen von Affen getötet oder von Jägern eines fremden Stammes gefangen zu werden, dem Risiko vor, als Schutzpfand für den ewigen Turm ausgelost zu werden.
    Die anderen verachteten sie dafür. Jeder, der flüchtete, erhöhte ja das Risiko der anderen, für die Hölle ausgelost zu werden. Die Wahrscheinlichkeit aus nur sechs Losen das gefürchtete rote zu erwischen, war natürlich größer, als wenn neun Lose im Loskrug lagen. Häufig blieben wieder eingefangene Flüchtlinge ihr Leben lang stigmatisiert.
    Dieser Vorfall ereignete sich vier Tage vor der Auslosung, und fünf Tage vor der nächsten Vollmondnacht.
    ***
    Zuerst kamen die Vögel. Große schwarze Biester waren es, mit blutroten Krummschnäbeln und scharfen Fängen in der selben Farbe. Sulbar und Halil nannten sie
    »Aldraxe« und hielten sie für Vorboten des Unglücks.
    Wenn es Menschen statt Vögel gewesen wären, hätte Rulfan den düsteren Geschichten seiner Gefährten vielleicht Glauben geschenkt. Es waren aber Tiere, Vögel, und zunächst einmal hatten sie einfach nur Hunger.
    Sie stießen auf die Männer herab und ließen sich weder von Wurfgeschossen, noch von Schwerthieben verscheuchen. Sie gaben erst Ruhe, als sie den Steuermann und einen zweiten Verletzten davontrugen.
    Dann kam die Nacht, und im Schutz der Dunkelheit krochen speerlange Fische aus dem Meer: schwarze Aale, die wie riesige

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