1813: Die Völkerschlacht und das Ende der alten Welt (German Edition)
aufschütten, auf der nun über einem zweistufigen Podest der riesige «Denkstein», wie ihn die Inschrift nennt, ruht: drei Meter lang, jeweils anderthalb Meter hoch und breit. Die Widmung an der Längsseite zur Straße hin für den «Führer der am 18. Okt. 1813 auf den Ebenen von Leipzig für Europas Freiheit kämpfenden Scharen» ist frisch vergoldet, für die Inschrift auf der Rückseite, wo sich die Lebensdaten Schwarzenbergs finden, hat es jedoch nicht mehr gereicht. Rund um den kleinen Hügel herum stehen dafür riesige Eichen – auch hier entspricht der Ort ganz dem Klischeebild eines deutschen Geschichtsdenkmals.
Hundert Meter weiter stadtauswärts begrüßt ein Leipziger Löwe auf hohem Sockel die von außerhalb kommenden Autofahrer. Diese Steinskulpturen finden sich an allen großen Einfallstraßen, aber hier wirkt das Wappentier der Stadt zusätzlich wie ein Grenzwächter zwischen Schwarzenberg-Denkmal und Monarchenhügel. Letzterer liegt jenseits des Löwen, also außerhalb des eigentlichen Stadtgebiets, und nach Alexander I., Franz I. oder Friedrich Wilhelm III. ist in Leipzig auch keine Straße benannt (die Alexanderstraße hat ihren Namen von einem Mitglied der hiesigen Kaufmannsfamilie Reichel), während der österreichische Feldherr über den Schwarzenbergweg ebenso eingemeindet wurde wie der bei den Leipzigern beliebte russische Stadtkommandant Prendel, nach dem sogar eine Allee benannt ist. Für die Herrscher hatte man in Leipzig nichts übrig, dafür geben sich im Probstheidaer Neubaugebiet «Sonnenpark» Russenstraße, Franzosenallee, Österreicherweg, Preußenstraße und Polenweg ein friedliches Stelldichein (Schweizer- und Tschechenbogen ehren dort noch weitere, weniger prominente Völker der Schlacht). Aber immerhin gibt es die Straße Monarchenhügel, die das Auffinden der gleichnamigen Gedenkstelle erleichtert, denn von der Prager Straße weist kein Schild den Weg dorthin. Über einen Fußpfad, der vor einem zugewachsenen Grundstück mit einer verfallenden Jugendstilvilla links abgeht, gelangt man auf einen kleinen baumbestandenen Platz zwischen modernen Einfamilienhäusern, auf dem sich ein heruntergekommener Apelstein für den russischen General Barclay de Tolly und der erst jüngst restaurierte Obelisk erheben. Nachdem dessen ursprünglicher Sandstein schon nach wenigen Jahren verwittert war, hatte man ihn aus Gusseisen nachgebildet, hergestellt von der Leipziger Gießerei C. & G. Harkort.
Das verweist auf eine eigentümliche Nebengeschichte der Völkerschlacht, denn der Eisenbahnpionier Gustav Harkort hatte als preußischer Freiwilliger am Herbstfeldzug 1813 teilgenommen und war dabei im Oktober erstmals nach Leipzig gekommen. Sieben Jahre später kam er wieder, um dort eine Textilhandelsfirma zu gründen, die von den nach dem Ende der Kontinentalsperre wieder aufblühenden englischen Garnexporten profitierte. Durch seine englischen Geschäftskontakte lernte Harkort die neu erfundene Eisenbahn kennen, und seit 1829 engagierte er sich für den Bau eines solchen Verkehrswegs in Sachsen. Der einstige preußische Feind wurde 1842 Mitglied des sächsischen Landtags und gründete im selben Jahr gemeinsam mit seinem Bruder Carl eine Gießerei, die schließlich den Obelisken auf dem Monarchenhügel anfertigte. Auf dem Sockel des Denkmals aus Rosengranit ist eingraviert: «Hier verweilten in der Schlacht bei Leipzig vom 18. Oktober 1813 die verbündeten Monarchen Kaiser Franz I. von Oesterreich, Kaiser Alexander von Russland und König Friedrich Wilhelm III. von Preußen und waren Zeugen der ausserordentlichen Tapferkeit ihrer Truppen.» Der Text klingt, als hätten drei Kurgäste hier gelustwandelt und sich an einem Spektakel ergötzt.
Auf der Bank vor dem Obelisken sitzt eine Frau, die mit dem Auto eigens hierhergefahren ist, um ihre Zigarette zu rauchen. Kaum ist sie abgefahren, enttäuscht über die Störung durch den Schlachtenbummler, kommt ein alter Mann, der sich dafür interessiert, warum ich hier fotografiere. Er hat keine Sympathie für den Ort: «Das sind ja Heldendenkmale, nicht für die Opfer wie in Buchenwald.» Mit der Erinnerung an die Völkerschlacht kann der Herr nichts anfangen, die Zusammenkünfte von Gruppen aus aller Welt in historischen Kostümen, die jedes Jahr um diese Zeit in Leipzig stattfinden, sind ihm zuwider: «Acht Mark nehmen sie in Liebertwolkwitz fürs Kriegspielen.» Das demonstrierte kleinbürgerliche Ideal findet seinen Ausdruck auch im
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