1813: Die Völkerschlacht und das Ende der alten Welt (German Edition)
einzigen halbwegs erträglichen Tags der Völkerschlacht ist hundertneunundneunzig Jahre später der einzig unangenehme unter den vier Tagen.
Am 18. Oktober 2012, einem Donnerstag, ist die Sonne wieder da, und der Weg führt mich natürlich zunächst in den Süden der Stadt, wo die Kämpfe zwischen den von Schwarzenberg kommandierten Angreifern und den von Napoleon persönlich angeführten Verteidigern am Morgen des Völkerschlacht-Montags gegen acht Uhr wieder begonnen hatten. Zum selben Zeitpunkt hat mich die Straßenbahn nach Meusdorf hinaus gebracht, in jene Ortschaft, in deren Schäferei der Kaiser der Franzosen in der ersten Nacht der Schlacht übernachtet hatte, ehe er seine Truppen zurücknahm und für die Nacht vom 17. auf den 18. Oktober sein eigenes Quartier nach Stötteritz verlegen ließ. Daran ist die Tram ebenso vorbeigerollt wie an der Stelle, wo einst die Quandtsche Tabaksmühle stand, und an Probstheida. Von dort an folgt sie dem blutigsten Pfad der Völkerschlacht, denn längs der ehemaligen Chaussee nach Grimma, der heutigen Prager Straße, kämpfte sich am 18. Oktober die Böhmische Armee in der Gegenrichtung mühsam voran und blieb immer wieder vor oder in Probstheida stecken, das die Franzosen verbissen verteidigten. Heute steht am Rande dieses Leipziger Stadtteils das Napoleon-Brauhaus, ein später Erbe einer ganzen Reihe von Gasthäusern in dieser Gegend, die sich den Namen des Kaisers nach der Völkerschlacht zunutze machten. Hinter Probstheida folgt ein breiter Wiesenstreifen, dann ein Wäldchen. 1813 aber war hier alles freies Feld. Was hätten die angegriffenen Franzosen für den Schallschutzwall gegeben, der ein neu errichtetes Wohngebiet vor dem Verkehrsgeräusch der Prager Straße schützt.
Gleich gegenüber der Endhaltestelle Meusdorf, auf der rechten Seite der Prager Straße, steht am Rand eines kleinen Parks das Schwarzenberg-Denkmal. Wie sein Pendant für den russischen Generalmajor Manteuffel auf dem Friedhof von Taucha verdankt es seine Existenz der Witwe des in Leipzig Verstorbenen. Wobei Schwarzenberg die Völkerschlacht um sieben Jahre überlebt hat; er fand 1820 den Tod aber doch noch hier, als er zur Feier des Jahrestages seines Siegs zurückkehrte und als besondere Ehre im Thomäschen Haus untergebracht wurde. Kurz vor Beginn der Feierlichkeiten am 15. Oktober 1820 starb er dort, noch keine fünfzig Jahre alt. In der «Weiheschrift» zur Fertigstellung des Völkerschlachtdenkmals aus dem Jahr 1913 wird daran erinnert, dass das Gedenken an die Ereignisse von 1813 durch Schwarzenbergs Tod einen anderen Verlauf nahm. Im pathetischen historischen Präsens heißt es da: «Es ist der 18. Oktober 1820. Unsere Freunde kommen vom Bette eines Toten. Der Oberfeldherr der verbündeten Truppen in der Völkerschlacht, Fürst Schwarzenberg, ist in Leipzig gestorben und liegt auf dem Paradebette. Am nächsten Tag, zur selben Stunde, da er vor sieben Jahren als Sieger eingezogen, soll sein Leichnam hinausgetragen und auf dem Schlachtfelde eingesegnet werden.» [451] Begraben wurde Schwarzenberg in der österreichischen Heimat, an der Stelle aber, wo der Feldmarschall am Nachmittag des 18. Oktober 1813 den drei Monarchen die Siegesnachricht überbracht haben soll, ließ seine Familie 1838 den Stein zu seinen Ehren errichten.
Wo genau dieses Ereignis stattgefunden hat, ist indes umstritten. Der sogenannte Monarchenhügel liegt etwa zweihundert Meter weiter südlich auf der anderen Seite der Prager Straße. Dort hat der «Verein zur Feier des 19. Oktober» im Jahr 1847 sein erstes Denkmal setzen lassen, einen Sandstein-Obelisken, der an den Beobachtungsposten von Zar Alexander, Kaiser Franz und König Friedrich Wilhelm erinnert. Allerdings hätten die geschichtsbewussten Leipziger Bürger das schlecht direkt neben dem schon bestehenden gewaltigen Schwarzenberg-Denkmal tun können, und diese Konkurrenz mag die historische Überlieferung des eigentlichen Aussichtspunkts verfälscht haben. Für den Monarchenhügel spricht seine exponierte Lage auf gut hundertsechzig Metern Höhe über dem Meer, für den Standort des Schwarzenberg-Denkmals die Nähe zur ehemaligen Schäferei Meusdorf, wo Napoleon übernachtete. Der Kaiser der Franzosen pflegte seine Quartiere auf den Schlachtfeldern neben guten Aussichtspunkten aufzuschlagen.
Heute jedenfalls dürfte das Schwarzenberg-Denkmal sogar höher liegen als der Obelisk, denn die Witwe und ihre drei Söhne ließen eine künstliche Anhöhe
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