1813: Die Völkerschlacht und das Ende der alten Welt (German Edition)
die Kämpfe der Völkerschlacht beobachtend.»
Nicht weit entfernt, auf der anderen Seite der Chaussee von Leipzig nach Grimma, hatte die Gastwirtsfamilie Bertsch seit 1889 ihr Lokal «Napoleonstein» betrieben, das zu einem beliebten Ausflugslokal auf dem Weg zu Denkmal und Friedhof wurde. Die eigentliche Sensation war eine Sammlung von Objekten und Dokumenten zur Völkerschlacht, und im Garten der Gaststätte ließen die Eigentümer einen auf eigene Kosten angefertigten Apelstein aufstellen, der daran erinnerte, dass sich die drei alliierten Monarchen am Morgen des 19. Oktober 1813 an den Überresten der Quandtschen Tabaksmühle versammelten, um den Sturm auf Leipzig zu begleiten. Von diesem alten Wirtshaus ist heute nicht mehr übrig als der 1988 zum Jahrestag der Völkerschlacht nachgebildete Apelstein, der auf die gegenüberliegende Straßenseite versetzt wurde, als man in den neunziger Jahren das Grundstück des 1943 ausgebrannten Gebäudes neu bebaute.
Den stärksten Gegensatz zur trotz aller Aufhübschung düsteren Erscheinung des Völkerschlachtdenkmals bietet die Erinnerungsstätte, die am 17. Oktober 1913, nur einen Tag vor der feierlichen Eröffnung des deutschen Nationaldenkmals eingeweiht wurde: die orthodoxe St.-Alexej-Kirche. Benannt nach dem Heiligen, dessen Name der Zar trug, wurde sie auf einem von der Stadt Leipzig gestifteten Grundstück errichtet. Ihre elegante Form nimmt das Vorbild der Christi-Himmelfahrts-Kirche in Kolomenskoje bei Moskau auf, und mit ihrer schlanken Gestaltung, dem weißen Verputz und der goldenen Turmbekrönung ist sie das genaue Gegenteil zum gedrungen wirkenden Völkerschlachtdenkmal einen Kilometer weiter südlich: Wo dieses vor allem schwere Last auszudrücken scheint, strebt die Russische Gedächtniskirche himmelwärts. Den kleinen, aber immens hohen Innenraum schmückt eine achtzehn Meter hohe Ikonostase. Leider ist der Kirchhof hinter dem Gebäude nicht zugänglich, in dem sich mehrere Grab- und Erinnerungssteine befinden, die hierher überführt wurden, weil man die zugehörigen Gebeine in der Völkerschlacht gefallener russischer Soldaten von Leipziger Friedhöfen in die neu errichtete Kirche umgebettet hatte. Nicht einmal ein Jahr vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs wurde anlässlich der großen Denkmalseinweihungen vom 17. und 18. Oktober 1913, an denen jeweils der deutsche Kaiser Wilhelm II., der sächsische König Friedrich August III. und der russische Großfürst Kyrill Wladimirowitsch, ein Cousin von Zar Nikolaus II., teilnahmen, zum letzten Mal die einstige Waffenbrüderschaft beschworen, die nichts mehr mit der Gegenwart zu tun hatte. Diese Tradition jedoch wurde nach 1945 wieder aufgenommen, und es kam vor allem der Russischen Gedächtniskirche zugute, dass die DDR jeden Anlass nutzte, um die Freundschaft mit der Sowjetunion zu feiern. Aber auch das Völkerschlachtdenkmal und generell sämtliche Erinnerungsstätten der Ereignisse vom Oktober 1813 entgingen dadurch dem Verfall, dass man in der DDR schlecht Mahnmale vernachlässigen konnte, die an den größten gemeinsamen deutsch-russischen Triumph erinnerten.
Der Nachmittag des 18. Oktober gehört dem östlichen Schlachtfeld rund um Paunsdorf. Dorthin führt die Straßenbahn der Linie 8, die eine Haltestelle direkt vor der Kirche hat, die nach der nahezu völligen Zerstörung des Dorfs in der Völkerschlacht neu aufgebaut wurde. Hier haben die mit Brandsätzen bestückten Raketen von William Congreve ihre verheerendste Wirkung entfaltet, und deshalb muss es hier einen Apelstein geben, der an Captain Richard Bogue erinnert, der die englische Raketenbatterie vor Paunsdorf noch befehligte, ehe er später beim Vormarsch seiner Einheit getötet wurde. Dieser Gedenkstein aber erfordert einen Fußweg wieder aus Paunsdorf hinaus in Richtung Taucha und dann in eine endlose Seitenstraße, die mit ihren Schrebergärten auf der rechten Seite und weiten Brachflächen zur Linken kaum friedlicher gedacht werden kann. Ganz am Ende, als die Straße längst in eine ungeteerte Piste übergegangen ist, steht direkt vor dem letzten Eingang zu den unzähligen Laubenkolonien winzig klein, aber gleichfalls erst jüngst restauriert, der Apelstein für Bogue, der in dieser Gegend am 18. Oktober seine Stellung bezogen hatte. Wäre das Areal ringsum im Jahr 1813 schon so zersiedelt und überwuchert gewesen, wie es sich heute darbietet, hätte der Einsatz seiner Raketen gegen die heranstürmenden napoleonischen Truppen anders
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