1813: Die Völkerschlacht und das Ende der alten Welt (German Edition)
verdankt, die den dreistufigen Porphyrsockel schmücken. Hier, unmittelbar vor dem Hinter- oder Schönefelder Tor, das in die nördliche Grimmaische Vorstadt führte, lag die Milchinsel, das stadtnächste Ausflugsziel für die Leipziger, mit mehreren Gartenraststätten. Nur die wenigsten Bäume hatten im Oktober 1813 die Vortage überlebt, aber die Gebäude, Zäune und Gärten boten doch den französischen Verteidigern Schutz, und so entwickelte sich hier ein heftiges Gefecht, von dessen Opfern ein Massengrab mit den Überresten von hundertsechsundzwanzig Soldaten kündet, das später bei Bauarbeiten gefunden wurde. [459]
Das Stadtbild weiter nördlich, jenseits der Eisenbahnstraße, ist durch den Bau des riesigen Hauptbahnhofs im frühen zwanzigsten Jahrhundert völlig verändert worden. Wo die Geleise in Richtung Dresden abknicken, befand sich 1813 die winzige Ortschaft Volkmarsdorf, von deren leichtem Höhenzug aus man nach Schönefeld herüberblickte, dem Hauptstützpunkt der französischen Truppen im Nordosten von Leipzig. Nachdem die Alliierten schon am Abend des 18. Oktober Volkmarsdorf erreicht hatten, entwickelte sich über die Niederung zwischen den beiden Dörfern hinweg ein heftiger Artilleriekampf. Heute bietet nur die Hermann-Liebmann-Straße mit ihrer Brücke über die Eisenbahngeleise die Möglichkeit, von hier nach Schönefeld zu gehen, wo sich im Mariannenpark noch Reste des einstigen Ritterguts erhalten haben, das auf Befehl von Marschall Ney während der Völkerschlacht angezündet worden war. Doch es ist schon ein Uhr geworden, und deshalb gehe ich rasch wieder zurück durch das nunmehr mit Plattenbauten gefüllte Gelände der einstigen Kohlgärten zum Platz des vor hundertneunundneunzig Jahren so heiß umkämpften Äußeren Grimmaischen Tores. Daneben steht das 1929 eröffnete Grassi-Museum; der grandiose Art-déco-Bau hat seinen Platz auf Teilen des ehemaligen Friedhofs der Johanniskirche gefunden, der Wirkungsstätte des Totengräbers Johann Daniel Ahlemann während der Völkerschlacht, die aber nach 1846 wegen der Erschließung des Neuen Johannisfriedhofs weiter südlich nicht mehr benutzt wurde. Allerdings findet sich auf den verbliebenen Flächen des alten Gottesackers noch die Ehrentafel für Marschall Poniatowski und auch der Grabstein des 1842 verstorbenen Friedrich Rochlitz.
Doch wenn es um den 19. Oktober 1813 geht, heißt der Held des neunzehnten Jahrhunderts – berechtigt oder nicht – Friccius, und deshalb steht gleich neben dem Museum an der Stelle, wo sich früher das Äußere Grimmaische Tor erhob, ein Denkmal für den preußischen Landwehrmajor. Was dagegen heute fehlt, ist das normalerweise leicht versetzt dahinter stehende Gedenkkreuz für John Motherby, jenen Arzt in der Truppe von Friccius, der beim Sturm auf Leipzig fiel – das Denkmal in der Gestalt eines Eisernen Kreuzes wird einer Schönheitsoperation für das nächstjährige Jubiläum unterzogen. Weit hinten in Richtung Stadt öffnet sich der Augustusplatz, den es als Anlage 1813 noch nicht gab, doch auch damals war seine heutige Fläche unbebaut, weil hier vor den Innenstadtmauern eine Parkanlage zum Lustwandeln einlud. Dazu gehörte auch der Schneckenberg im nördlichen Teil des Areals, auf dem im April 1813, als Leipzig in den Händen der Alliierten war, der Freischärler Theodor Körner sein Gedicht von «Lützows wilder verwegener Jagd» gedichtet hatte. Heute steht davor das Opernhaus, doch dahinter ist noch eine Grünfläche, die mit einem Teich und schmalen Wegen das damalige Erscheinungsbild heraufbeschwört.
Dieses arkadische Gelände bot den in der Stadt verschanzten napoleonischen Verteidigern freies Schussfeld auf die Angreifer, die aus den Gassen der Grimmaischen Vorstadt hervorbrachen, nachdem sie dort den Widerstand überwunden hatten. So starben noch auf den letzten zweihundert Metern weitere Soldaten, obwohl die Völkerschlacht mit dem vormittäglichen Abzug Napoleons längst entschieden war. Da durch dessen Abwesenheit jedoch auch eine wichtige Motivation für seine Truppen entfiel, war die Gegenwehr nach dem Durchbruch der Alliierten in den Vorstädten nicht mehr so heftig wie befürchtet. Das erleichterte offenkundig General Bülow die Entscheidung, nunmehr die Landwehr wieder zurückzurufen und den Einfall in die Innenstadt von Leipzig den regulären preußischen und russischen Soldaten zu überlassen. Das Innere Grimmaische Tor, das dort stand, wo nun der Grimmaische Steinweg auf den
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