1813: Die Völkerschlacht und das Ende der alten Welt (German Edition)
gefangen genommen haben wollte. Dorthin, wo die alliierten Truppen ihre erste wichtige Stellung mit Blick auf Leipzig hatten, die dann aber mittags von den Franzosen erobert wurde und ihrerseits zur wichtigsten Artilleriestellung in diesem Abschnitt des Schlachtfeldes ausgebaut wurde, ehe Napoleon den Berg in der Nacht auf den 18. Oktober kampflos räumen ließ – dort hinauf soll nun der Weg führen.
Das ist leichter gesagt als getan. Zunächst einmal: Welche der Anhöhen ist der Kolmberg? Mutmaßlich doch die rechts gelegene, die vom Österreicherdenkmal als höchste auszumachen ist und einen besonders guten Blick auf die Umgebung verheißt. Doch sie erweist sich beim Näherkommen als ehemalige, nun weitläufig abgesperrte Mülldeponie. Der Abfall der Gesellschaft hat für höhere Berge gereicht als die Natur. Also muss der Kolmberg der vergleichsweise niedrig wirkende Höhenzug links davon sein, aber die auf dem Stadtplan eingezeichnete schmale Straße hinauf ist nicht zu finden. Es wird wohl die durch eine Schranke versperrte schmale Einfahrt gewesen sein, an der ich achtlos vorbeigefahren bin, denn danach kommt nichts mehr, und ich bin mittlerweile schon übers Leipziger Stadtgebiet hinaus in Seifertshain, der Ortschaft, die Auguste Vater am Morgen des 16. Oktober verlassen hatte.
Auch das wird wohl um diese Zeit gewesen sein, mittlerweile ist es Viertel nach acht. Gegenüber der Kirche liegt das schmucke Pfarrhaus, das vor hundertneunundneunzig Jahren ausgeplündert worden ist; eine Tafel verweist darauf, dass Auguste Vater hier 1797 geboren wurde. In einer ehemaligen Stallung neben der Friedhofsmauer, die sich rund um die Kirche zieht, ist heute ein mittels privater Initiative betriebenes Sanitäts- und Lazarettmuseum eingerichtet, das die Geschichte der medizinischen Versorgung während der Völkerschlacht erzählt, aber geöffnet hat es nur sonntags für wenige Stunden. Dafür steht der Friedhof offen, das Grab der Eltern von Auguste Vater liegt gleich hinter dem Chor der Kirche. Blickfang der weitgehend leeren Rasenfläche auf der Nordseite aber ist die Grabstele für den einundzwanzigjährigen Südtiroler Grafen Cajetan Alberti de Poja, der als Leutnant im österreichischen Heer diente und laut Aufschrift der Gedenktafel am 14. Oktober 1813 auf dem Kolmberg durch eine französische Kanonenkugel getötet wurde, als er General Klenau eine Depesche überbringen wollte. In der Tat wurde bereits beim Reitergefecht von Liebertwolkwitz Artillerie eingesetzt, Klenaus Truppen aber kamen erst am 16. Oktober auf dem Kolmberg zum Einsatz. Auguste Vater berichtet, dass schon bald die Sicht vom Kirchturm hinüber zum Kolmberg, wo sich Klenaus Artillerie festgesetzt hatte, durch Pulverdampf behindert wurde. [444] Heute wird der Blick nach Westen immer klarer, der Steinquader jedoch, den man 1856 auf der damals noch kahlen Anhöhe zur Erinnerung an die Bedeutung dieser Stätte aufstellte, ist zwischen den mittlerweile dort emporgeschossenen Bäumen in deren früher Herbstfärbung nicht mehr auszumachen.
Auf der Süd- und der Westseite soll es weitere Auffahrtwege geben, also fahre ich um den Kolmberg herum. Dazu geht es erst einmal über die erst vor wenigen Jahren gebaute Autobahn 38, die Leipzig südlich umgibt. Jenseits von ihr liegen die riesigen Braunkohleabbaugebiete, die in den Jahren der DDR bis kurz vor das Stadtgebiet ausgebeutet wurden. Durch diesen Tagebau ist ein Großteil des südlichen Schlachtfelds vom 16. Oktober 1813 verschwunden, ebenso wie einige der Dörfer, um die damals gekämpft wurde. Mittlerweile sind die tiefen Förderlöcher rund um Markkleeberg zu einer Seenlandschaft renaturiert worden, die nichts mit dem gemein hat, wie diese Gegend einmal ausgesehen hat, aber nur so ließ sich die Vergewaltigung der Landschaft wieder unsichtbar machen.
Der Abstecher über die Autobahn ist jedoch sofort wieder beendet, denn noch vor Großpösna geht es wieder in Richtung Leipzig ab und zurück auf die andere Seite, wo sich der Kolmberg nun tatsächlich als ansehnliche Höhe präsentiert, wenn auch die Müllkippe gleich dahinter noch viel eindrucksvoller im flachen Sonnenlicht aufragt. Der Weg, der laut Karte viel schmaler hätte sein sollen als der auf der Nordseite übersehene, ist leicht zu finden und bis auf den Kolmberg hinauf befahrbar. Oben angekommen steht direkt am Wegrand der erste Apelstein. Diese nach Theodor Apel, dem akribischsten Chronisten der Völkerschlacht, benannten Erinnerungsstelen
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