1813 - Kriegsfeuer: Roman (German Edition)
zu. »Spätestens in ein paar Tagen haben wir wieder eine französische Besatzung. Dieser Krieg wird ganz sicher nicht im Nu gewonnen, wie Eduard glaubt. So glänzend auch das heutige Manöver des österreichischen Generals verlaufen ist, es war nur ein Nadelstich, eine kurze Demonstration. Ein Bonaparte lässt sich nicht so schnell besiegen, wie wir es im Frühjahr gehofft hatten.«
Fünf Tage später, am 21 . September, wurde Freiberg wieder von Franzosen besetzt, durch Kavallerie unter General Pajol vom Korps des Marschalls Augereau. Die neuen Einquartierten richteten sich im Gerlachschen Haus am Untermarkt gerade ein, als aus der Küche ein gellender Schrei kam.
Jette rannte die Treppe hinab und machte sich auf Schlimmes gefasst.
Lisbeth saß am Tisch, heulte und schluchzte und streckte ihr einen Brief mit krakeliger Schrift entgegen.
»Sie leben! Meine zwei Jüngsten leben!«, brachte sie hervor, zwischen unbändiger Freude und Erschütterung hin- und hergerissen. Dann lachte sie unter Tränen. »Die zwei Tunichtgute haben wirklich ihrer alten Mutter einen Brief geschrieben!«
Sie wischte sich die Augen mit ihren rauhen Händen und ließ Jette das mit Bleistift beschriebene Blatt lesen.
»Uns ged es guhd. Machd euch keene Sorgen und seid uns nich beese. Ich darf in de Linie und Anton hat eine Drommel. Gott schütze euch.«
»Nun ist alles gut!«, schluchzte Lisbeth glücklich.
Bis sie in die nächste Schlacht müssen, dachte Henriette.
Sie konnte einfach nicht anders.
Der Aufruf des Königs
Dresden, 26 . September 1813
I n der Nacht vom 22 . zum 23 . September 1813 geschah etwas so Unerhörtes, dass sich der König von Sachsen entschloss, gleich zwei Aufrufe zu verfassen: einen an seine Soldaten und einen an sein Volk. Allerdings fielen diese Proklamationen nicht so aus, wie Henriette es erhoffte.
Der König brauchte nach dem empörenden Anlass auch erst einmal volle drei Tage, bis er sich hinreichend gesammelt hatte, um Worte zu finden. So sehr erschütterte das ungeheuerliche Vorkommnis sein Weltbild.
Es zerbrach den Kokon, in den er sich während seiner fünfundvierzigjährigen Herrschaft eingesponnen hatte: dass sein Volk ihn liebte, dass es ihn vollkommen zu Recht einen guten und gerechten König nannte und ihm freudig Gehorsam erwies – weil es Gottes Ordnung der Welt so gebot und weil er alles zum Besten seines Volkes tat.
Was war geschehen?
In besagter Nacht lagerte Major Heinrich von Bünau, Bataillonsführer des sächsischen Infanterieregimentes König, mit seiner Einheit an der Straße nach Dessau, südlich von Wittenberg, irgendwo zwischen Oranienbaum-Wörlitz und Kemberg. Der abnehmende Mond stand im letzten Viertel und warf kaum noch Licht.
Die Dunkelheit begünstigte sein Vorhaben ebenso wie der Umstand, dass sein Bataillon den äußersten Vorposten des ganzen Korps bildete und dass die sächsischen Soldaten den Anführer der vor ihnen stehenden feindlichen Truppen hochschätzten: Bernadotte, nun unter dem Namen Karl Johann Kronprinz von Schweden. Unter seinem Kommando hatten die Sachsen 1809 gekämpft, als er noch Marschall von Frankreich war.
Die schicksalhafte Entscheidung, mit seinen Truppen die Seiten zu wechseln, hatte der Major von Bünau schon vor einiger Zeit getroffen. Es lag nicht länger im Interesse ihres Landes, an Bonapartes Seite zu kämpfen. Sachsen hatte mehr als genug gelitten.
Jetzt war der Moment gekommen. Eine Gelegenheit wie heute Nacht würde sich so schnell nicht wieder bieten. Wenn schon überlaufen, dann zu Bernadotte; der würde die Sachsen mit offenen Armen empfangen.
So konnte er seiner Mannschaft das Leben bewahren, die ansonsten in den morgigen Kämpfen aufgerieben werden würde. Wenn sie schon starben, dann für ein besseres Ziel als die Allmacht Napoleons .
Tief in der Nacht rief der Bataillonskommandeur seine Offiziere zu sich. »Ich bin bereit, dorthin zu gehen, wo wir für die Freiheit Deutschlands kämpfen können. Werden Sie mir folgen?«
Niemand war überrascht; auch in ihnen wühlte der Gedanke schon länger, die Seiten zu wechseln. Dass sie ihren dem König geschworenen Eid brachen, diese schicksalsschwere Entscheidung über die Köpfe ihrer Mannschaft hinweg trafen, mussten sie in Kauf nehmen und für die Konsequenzen einstehen.
Von Bünau schickte zwei seiner Offiziere los, um den schwedischen Vorposten anzukündigen, dass gleich ein sächsisches Bataillon zu ihnen überlaufen würde. Dann ließ er seine Truppen wecken,
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