1813 - Kriegsfeuer: Roman (German Edition)
Kante des Wagens, ließ die Beine herabbaumeln und redete ununterbrochen auf Julius ein, der immer mehr Farbe verlor. Auf dem Schoß hielt er eine Handvoll Pflaumen, die ihm seine Kameraden in den nahen Obsthainen gepflückt hatten, und bot Julius immer wieder davon an. Doch der wollte nichts essen.
»Du hast heute Vormittag wirklich etwas verpasst, Kleiner! Das kriegt man nicht alle Tage zu sehen. Die haben uns gestern mächtig gerupft, die Franzosen und die Württemberger. War übel. Die Italiener sind weggerannt, so schnell sie nur konnten, aber Morand wollte seine Artillerie unbedingt noch einmal auf einem Hügel in Stellung bringen. Als unsere Brigade endlich ins Dorf kam, ging gerade alles drunter und drüber. Aber Steinmetz sammelte die Truppen, und schon stürmten unsere Leute von allen Seiten auf den Feind ein.
Gab ein schönes Bild. Blücher und seine Russen hatten gar nichts mehr zu tun. Die Schlesische Landwehr hat sich wacker geschlagen – und die wollte Yorck letztes Mal gar nicht anschauen, so kläglich hatten die versagt. Heute soll er sie sehr gelobt haben, erzählte mir jemand. Stell dir vor: Das 2 . Bataillon des Leibregiments hat fast die Hälfte der Leute verloren. Als die Überreste heute Morgen zur Parade vorbeimarschierten, zog Yorck seine Mütze! Mit dem ganzen Stab saß er da barhäuptig zu Pferde, bis alle an ihm vorbei waren, obwohl es da auch schon goss wie aus Kannen …«
Julius rang sich mühsam ein Lächeln ab. »Das hätte ich gern gesehen«, flüsterte er.
»Beim nächsten Mal!«, versprach ihm Philipp mit gespielter Zuversicht.
Jetzt begann sein Bruder, vor Kälte mit den Zähnen zu klappern.
»Ist aber auch ein Scheißwetter!«, beschwerte sich Philipp, warf den letzten Pflaumenkern fort, schälte sich aus seinem Mantel und legte ihn über Julius. »Besser so?«
Die Lippen seines Bruders bewegten sich, aber er konnte die Worte nicht verstehen. Also beugte er sich näher zu ihm.
»Claire«, flüsterte der Sterbende. »Kümmere dich um sie, ja? Ich weiß, du magst sie …«
»Verteil hier nicht dein Erbe und deine Liebschaften!«, protestierte Philipp verzweifelt. Es könnten auch Regentropfen gewesen sein, die über sein Gesicht rannen. »Wage es ja nicht, jetzt abzukratzen! Sonst kriegst nicht nur du Ärger mit Max, sondern ich auch … Du kannst mich doch jetzt nicht allein lassen! Was soll ich denn denen zu Hause sagen?«
Aber das hörte Julius Trepte schon nicht mehr.
Sühne
Freiberg, 6 . Oktober 1813
A m dritten Tag nach Jettes Zusammenbruch kam Johanna in die Bibliothek und sagte mit merkwürdiger Miene sowie ein wenig ratlos: »Jette, Liebes, da unten in der Buchhandlung, da ist dieser nette junge Mann, dieser Student mit der verletzten Hand. Er hat von dem Zwischenfall im Lazarett gehört und erkundigt sich, wie es dir geht. Er scheint sich wirklich Sorgen zu machen und weigert sich, den Laden zu verlassen, ohne eine Nachricht über dein Befinden zu erhalten.«
Sie räusperte sich und druckste herum. »Vielleicht fühlst du dich ja erholt genug, hinunterzugehen und kurz mit ihm zu sprechen. Ich kann ihn natürlich nicht hier mit dir allein lassen, das gehört sich nicht. Aber im Laden … das ist ja sozusagen ganz öffentlich.«
Henriette staunte. Wenn Felix die Tante dazu gebracht hatte, das zu erlauben, dann musste er Eindruck hinterlassen haben. Obwohl er noch Student war, außerdem verkrüppelt, Johanna von seinem Einsatz bei den preußischen Freiwilligenkorps nichts wusste und sicher in erster Linie nach einem gutverdienenden Mann Ausschau halten würde, der einmal um die Hand ihrer Nichte anhielt. Weiß die Tante etwa, dass mein Wert auf dem Brautmarkt beschädigt ist und wir über jeden Kandidaten froh sein müssen?, dachte Jette sarkastisch.
Doch sie tat Johanna unrecht. Natürlich hatte diese ständig im Kopf, eine gute Partie für die Nichte zu finden, was leider im Krieg doppelt so schwer war wie in Friedenszeiten. Aber jetzt wollte sie die in Schwermut versinkende Henriette aufmuntern und wenigstens für ein paar Minuten aus dem Bett holen.
Nach drei Tagen wurde das Zeit, auch wenn der Arzt ihr Schonung verordnet hatte! Jette war normalerweise viel zu ruhelos, um so lange im Bett zu bleiben. Deshalb bereitete ihr dumpfes Brüten der Tante ernsthaft Sorgen. Was sie keineswegs daran hinderte zu überlegen, dass der junge und ansehnliche Stadtarzt Dr. Meuder wirklich eine gute Partie für ihre Nichte wäre. Sehr zu Johannas Bedauern war er schon
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