1813 - Kriegsfeuer: Roman (German Edition)
Million Menschen und hunderttausend Pferden würde für sehr viele Menschen das Ende aller Tage sein. Vielleicht auch für ihn.
Sein Leben war ihm nicht mehr viel wert. Wenn er es für die Freiheit des Vaterlandes gab, erfüllte es wenigstens noch einen Sinn.
Als Felix nicht gleich antwortete, drängte Henriette: »Helfen Sie mir, dorthin zu gelangen, und ich bringe Sie durch die französischen Linien! Aber Sie müssen schwören, niemandem hier ein Wort davon zu sagen.«
Felix schwieg. Er erforschte ihr Gesicht und las darin, dass er ihr das gefährliche Unterfangen nicht ausreden konnte.
»Ich brauche ein paar Tage Zeit zur Vorbereitung. Sie müssen erst wieder richtig bei Kräften sein, und ich muss ein Quartier für Sie besorgen.« Dabei dachte er an Ludwig, Greta und Hermann. Er würde ihnen heute noch schreiben.
»Die Lazarette werden froh über jeden Helfer sein und sicher einen Schlafplatz finden«, wehrte sie ab. Doch Felix beharrte auf diesem Punkt. Er würde all seine Habe verkaufen, damit sie zu barem Geld kamen. Richard hatte ihm vierzig Taler hinterlassen, die konnte er unter diesen Umständen ohne schlechtes Gewissen annehmen.
Von seinen eigenen Dingen, Lehrbücher und Instrumente, brauchte er nichts mehr. Henriette hatte recht. Dies war das Ende aller Tage.
Und Jette dachte: Wer weiß schon, ob die Welt nicht längst untergegangen ist, bevor das Kind geboren wird. Wie sollte ein Kind auch überleben können angesichts dessen, was uns bevorsteht?
Die Entscheidung
Schloss Düben, 13 . Oktober 1813
E ine dicke Fliege schwirrte durch den Kartographieraum, die sich irgendwie in die kalte Jahreszeit gerettet hatte. Und jeder der zahlreichen Männer in diesem Raum hätte das Insekt liebend gern erschlagen, zerquetscht, mit dem Degen zerteilt, mit der Pistole erschossen oder mit dem Zirkel vom Kartentisch aufgespießt, denn sein anhaltend lästiges Brummen war das einzige Geräusch im ansonsten gespenstisch stillen Zimmer.
Doch die Fliege blieb unbehelligt, da sich niemand zu rühren wagte, weil auch der Kaiser sich nicht bewegte. Wie es ihnen vorkam, seit Stunden! Zumindest seit einer halben Stunde.
Und das war es, was die Anwesenden – seinen Geographen d’Albe, die an den Ecktischen bereitsitzenden Stenographen und Schreiber, seine Adjutanten und auch den Major von Odeleben – so beunruhigte.
Napoleons Hauptquartier befand sich nun schon den dritten Tag in Düben, am Rande einer Heide, wo noch letzte Woche der alte Blücher gehockt hatte. Zunächst ordnete der Kaiser auch diverse Truppenbewegungen an.
Doch jetzt saß er – und das hatten sie von dem Rast- und Ruhelosen noch nie erlebt – untätig auf dem Sofa vor dem Tisch, starrte auf ein leeres Blatt Papier und rührte sich nicht.
Wo bleibt Blücher?,
fragte sich Bonaparte seit Tagen, dessen Gedanken im Widerspruch zu seiner körperlichen Reglosigkeit höchst schnell und lebendig durch den Kopf tosten. Wo steckte dieser gottverdammte Preuße überhaupt?
Seit drei Tagen erwartete er ihn in der Dübener Heidelandschaft zur Entscheidungsschlacht, aber der Fuchs kam schon wieder nicht aus seinem Bau, nachdem er die Elbe überquert hatte. Statt sich ihm zu stellen, war er Richtung Saale abmarschiert. Und inzwischen wussten sie nicht einmal, wo Blüchers Armee stand – bei Dessau oder Halle? Auch über die aktuelle Position der Nordarmee gab es keine zuverlässigen Nachrichten. Gerüchteweise sollte sie schon Richtung Mulde marschieren.
Die schlechten Neuigkeiten schienen in letzter Zeit sein ständiger Begleiter zu sein. Das Scheitern Oudinots und dann auch Neys vor Berlin, die Frechheit, dass dieser Russe Tschernitschew seinen Bruder Jérôme, den König von Westphalen, aus Kassel vertrieben hatte … Nicht zu vergessen die Frechheit, dass Jérôme feige geflohen war!!!
Blüchers Vormarsch und die heranrückende böhmische Armee hatten ihn, Bonaparte, vor einer Woche gezwungen, Dresden zu verlassen – mitsamt der königlichen Familie, die angewiesen war, in aller Heimlichkeit, in aller Herrgottsfrühe und mit nur wenig Gepäck aufzubrechen, damit die Abwesenheit des Königs keine Unruhen in der Stadt hervorrief. Verheimlichen ließ es sich am Ende doch nicht.
Gouvion Saint Cyr blieb in Dresden mit dreißigtausend Mann Besatzung zurück, Narbonne hielt die voll bemannte Festung Torgau, und auch Wittenberg war stark besetzt.
Seitdem zog der Kaiser mit seinen übrigen Truppen durch Sachsen und suchte nach einem Punkt, von dem aus er
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