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1813 - Kriegsfeuer: Roman (German Edition)

1813 - Kriegsfeuer: Roman (German Edition)

Titel: 1813 - Kriegsfeuer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Ebert
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Körper fest auf die Tischplatte. Er stöhnte vor Schmerz, während der Arzt in der Wunde nach der Kugel suchte. Als Multon sie endlich herausgeholt hatte, löste er damit einen Blutschwall aus.
    Henriette presste ihre Hand auf die Wunde, um zu verhindern, dass mit dem sprudelnden Blut das Leben aus Étienne floss. Sein Hemd hatte sie schon zerrissen, doch der daraus gewonnene provisorische Verband war sofort rot durchtränkt. Also riss sie in der Not Streifen von ihrem Unterkleid.
    »Hier, nehmen Sie das!« Überrascht sah sie den Stadtschreiber Münchow vor sich stehen, der – noch ein wenig zögernd – ein paar weiße Seiten aus seinem Oktavheft löste. Dankbar drückte Henriette die Blätter auf die Wunde und band sie mit den Fetzen ihres Unterkleides fest.
    Der Schreiber half auf ihre Bitte einem der Krankenpfleger, Étienne zu einem freien Platz gegenüber der Tür zu tragen. Derweil rannte Henriette los und zerrte den Mantel unter einem toten Offizier der Marinegarde hervor. Gestern waren besonders viele schwerverwundete Offiziere gebracht worden, und dieser hier trug einen guten Mantel, der ihm jetzt nichts mehr nützte. Ein Bajonettstich hatte seinen Bauch aufgerissen. Es grenzte an ein Wunder, dass er überhaupt noch bis zum Morgen gelebt hatte – und dass sich niemand von den anderen Verwundeten den Mantel geholt hatte.
    Sie breitete das Kleidungsstück auf dem Boden aus, wartete, bis der Sterbende gebracht wurde, und umhüllte ihn, so gut es ging, mit dem wärmenden Tuch.
    Étienne zitterte vor Kälte, Schmerz und Blutverlust.
    Also kniete sie sich auf den Boden und legte seinen Kopf auf ihren Schoß, um ihm etwas von ihrer Körperwärme abzugeben.
    »Bleib bei mir!«, raunte sie. »Bitte!«
    Immer noch quoll Blut aus der Wunde, und sie konnte es mit ihren bloßen Händen nicht aufhalten.
    Schweren Herzens reichte ihr Artur Reinhold Münchow den Rest seines Heftes samt Einband – all die vollgeschriebenen Seiten. Manchmal gab es Wichtigeres als Ratsprotokolle. Und das Mädchen hatte recht: Er würde nie vergessen, was er heute gesehen hatte. Auch ohne es aufgeschrieben bei sich zu tragen.
    »Siehst du, es hört schon auf zu bluten«, redete Henriette auf Étienne ein und rang sich ein Lächeln ab. Obwohl ihr vor Schmerz kein Wort aus der Kehle kommen wollte, musste sie jetzt sprechen, mit ihm sprechen, denn sie fürchtete, er würde vielleicht nie wieder erwachen, wenn er erst einmal in die Bewusstlosigkeit hinübergedämmert war. »Halte durch, kämpfe! Ich hab dich schon einmal gerettet. Und dir gesagt, dass wir uns wiedersehen … Weißt du noch?«
    Sie summte die Melodie des ersten Walzers, den sie gemeinsam getanzt hatten.
    Nun zog ein schwaches Lächeln über Étiennes aschgraues Gesicht.
    »Der glücklichste Moment meines Lebens«, sagte er qualvoll und so leise, dass nur sie es verstehen konnte. »Abgesehen von jener Nacht …«
    Sie lächelte unter Tränen, umfasste sein Gesicht sanft mit beiden Händen und küsste seine Stirn.
    »So gern … hätte ich noch einmal die Sonne gesehen … den Duft von Lavendel gerochen … mit dir getanzt … dich berührt … dich lachen gehört …« Étiennes Stimme erstarb.
    »Das wirst du«, versprach sie ihm wider besseres Wissen.
    »Werden wir ein Kind haben?«, flüsterte er voller Hoffnung.
    »Ja«, log Henriette, weil sie sah, dass ihn diese Vorstellung glücklich machte.
    Gott würde ihr die barmherzige Lüge verzeihen.
    »Ja, Liebster. Wir werden ein Kind haben … Mit ihm werden wir durch die Lavendelfelder gehen, wenn es erst laufen kann. Über Sommerwiesen voller Blumen, mit Schmetterlingen, die im Sonnenlicht tanzen. Du wirst ihm französische Lieder vorsingen und ich deutsche … Wir werden duftendes Brot essen. Und wir werden tanzen, die halbe Nacht …«
    Étienne lächelte glücklich und schloss die Augen.

Die Brücke über die Elster
    Leipzig, 19 . Oktober 1813
    D as Gedränge vor der einzigen Brücke, die hinaus auf die Straße nach Westen führte, war so groß, dass Pícaro und seine Freunde widerwillig den erbeuteten Hammel freilassen mussten. Seit einer Stunde schon versuchten sie unter Gebrauch von Ellenbogen, Waffen und wilden Flüchen, sich zwischen den fliehenden Menschen hindurchzuquetschen, bevor sie den Alliierten in die Hände fielen. Es wäre alles halb so schlimm, würden nicht Dutzende ineinander verkeilte Wagen den Weg versperren, die in wilder Hast auf den rettenden Steg zugerast waren und nun das größte Chaos

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