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1813 - Kriegsfeuer: Roman (German Edition)

1813 - Kriegsfeuer: Roman (German Edition)

Titel: 1813 - Kriegsfeuer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Ebert
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verursachten.
    Auch viele Reiter mussten einsehen, dass es für sie so kein Durchkommen gab, und stiegen von ihren Pferden ab. Es waren Tausende, die sich am Ranstädter Weg drängelten, um aus der Stadt zu entkommen, während die ersten Kolonnen der Feinde vielleicht schon durchgebrochen waren.
    Rücksichtslos arbeitete sich Pícaro voran, wobei ihm sein Geschick als Dieb gute Dienste leistete. Doch jetzt standen vor ihm zwei von der Marinegarde, beide einen halben Kopf größer als er, und an denen gab es kein Vorbeikommen. In Gedanken verfluchte er sie. Diese Wichtigtuer, sollten die doch rüberschwimmen!
    Auf diese Idee wären sicher viele gekommen, hätte sich die Elster nicht durch den unablässigen Regen der letzten Tage in einen reißenden Fluss verwandelt und wäre die Böschung nicht so steil.
    Pícaro hatte es satt. Obwohl es gefährlich war in diesem Gewühl, schwang er sich über das Geländer und hangelte sich daran hinüber. Beinahe hätten ihn ein paar wütende Grenadiere ins Wasser gestoßen. Doch er fing sich gerade noch ab und sprang ans rettende Ufer.
    Vor Erleichterung lachend, sah er auf die Menschen, die weiter um die Wette schubsten und schoben, ohne voranzukommen, und dabei lautstark fluchten.
    Er hatte gerade noch den letzten Moment erwischt. In einem der Fenster am Ranstädter Steinweg erschien ein Kosak und legte sein Gewehr an. Schon bekam er Gesellschaft, und nun schwirrten auch noch feindliche Kugeln in die dicht gedrängte Menschenmenge.
    Pícaro rannte los. Er war noch nicht weit gekommen, als mit einer gewaltigen Explosion die steinerne Brücke in die Luft flog. Alles und jeder, der sich darauf befand, wurde emporgeschleudert und landete im Fluss oder in Stücke zerfetzt am Ufer; selbst Menschen in beträchtlicher Entfernung wurden noch vom Druck der Explosion umgerissen. Steinquader zermalmten Körper und zertrümmerten Teile der kleinen Funkenburg, sämtliche Fensterscheiben der Häuser im Umkreis von Dutzenden Metern zerbarsten laut klirrend.
    Als Pícaro wieder zu sich kam, schüttelte es ihn vor Entsetzen. Dabei hatte er schon viele schreckliche Dinge in seinem Leben gesehen und ließ sich nicht so leicht aus der Fassung bringen.
    Der Hochwasser führende Fluss war voll von Leichen und zerfetzten Körperteilen. Zwischen ihnen kämpften sich Männer durch die eisigen Fluten, bis sie an der steilen und schlüpfrigen Böschung scheiterten und immer wieder zurück ins Wasser rutschten, ohne Halt zu finden.
    Er sah, wie ein Mann in Generalsuniform aus dem Fluss gezogen wurde, und hörte Ertrinkende ihm nachrufen: »Helfen Sie uns, Monsieur le maréchal! Retten Sie Ihre Soldaten, retten Sie Ihre Kinder!«
    Das war mehr, als er ertragen konnte. Irgendein Trümmerstück hatte seinen Kopf getroffen, Blut rann ihm von der Schläfe, und beim Aufsetzen hatte er sich wohl zu schnell bewegt, denn jäh wurde ihm übel, und er erbrach seine letzte karge Mahlzeit.
     
    Auch Lucien Junot starrte fassungslos auf das Bild vor seinen Augen. Er war noch nicht auf der Brücke gewesen, als die Explosion gezündet wurde, und beschloss angesichts der nahenden Feinde, den reißenden Fluss zu durchschwimmen. Es kostete ihn eine halbe Stunde verzweifelten Kampfes, bis er die Böschung hinaufkam. Dann half er so vielen heraus, wie er konnte, bis er sich völlig entkräftet auf den Rücken fallen ließ. Bis eben noch hatten wenigstens zwei Mann aus seinem Kommando überlebt. Doch den einen sah er mit zerschmettertem Kopf im Wasser treiben, den anderen mit verrenkten Gliedern zwischen Trümmern ein paar Schritte neben sich liegen.
    Er war nun der einzige Überlebende seiner Escouade.
    Von weitem hörte er zwischen all den verzweifelten Hilferufen einen Streit. Jemand brüllte einen anderen an, wie er nur die Sprengladung habe zünden können, als die Brücke voller Menschen und noch drei komplette Armeekorps in der Stadt waren. »Ich hatte Befehl«, antwortete der andere weinerlich. »Was sollte ich denn tun?«
    Lucien Junot stand auf, vor Kälte und Wut zitternd in seiner triefend nassen dunkelblauen Uniform, als er begriff: Diese Katastrophe hier war kein Versehen, kein Zufall.
    Und dann dachte er nur noch: Zum Teufel mit dem Kreuz der Ehrenlegion! Es gibt nichts, womit das hier belohnt werden sollte.
    Ich will nach Hause, zu meiner Frau und meinen Kindern. Dann wird sich zeigen, ob ich das hier jemals vergessen kann.
     
    Der vor Pícaros Augen aus dem Wasser gezogene Marschall war Jacques Étienne Joseph

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