1834 - Vier grausame Jäger
ebenso stehen wie ihr Vater, »nein, so ist es nicht gewesen.«
»Wie dann?«
»Sie – sie – haben mich gerufen.«
»Ja.« Er nickte. Dann aber zuckte er zusammen, weil ihm erst jetzt der Sinn ihrer Antwort klar geworden war.
»Moment mal. Was hast du gesagt?«
»Sie haben mich gerufen.«
»Mit Stimmen?«
Lucy nickte.
»Und wo hast du die Stimmen gehört? Hallten sie durch den Garten an deine Ohren?«
»Nein. Ich hörte sie anders.«
Das begriff Miller nicht. »Wie anders?«
»Sie waren in meinem Kopf.«
»Ach, ehrlich?«
»Ja.«
»Und?«
»Sie sprachen zu mir.«
James Miller wusste nicht, was er sagen sollte. Er mochte Tiere, aber dass sie mit Menschen in Verbindung traten und sogar mit ihnen kommunizierten, das war schon ein Hammer. Hunde, die sprechen, das war etwas, das gab es nicht. Das konnte es nicht geben. Der Mann wusste, dass seine Tochter eine große Fantasie hatte. Schon mit ihren vier Jahren kannte sie zahlreiche Geschichten, die sie oft zum Besten gab. Auch selbst erfand sie welche, und Miller konnte sich vorstellen, dass sie sich wieder etwas ausgedacht hatte.
Das Thema war für ihn erledigt. »Komm bitte jetzt. Du musst noch duschen und dann ins Bett.«
»Ja, das mache ich. Und weißt du auch, wovon ich träume, Dad?«
»Nein, wovon?«
»Ich träume von Hunden. Von unseren Hunden, Dad.«
»Das ist auch normal. Du magst sie, und sie mögen dich auch. Ihr seid Freunde.«
»Das stimmt.«
»Menschen und Tiere haben sich schon immer gut verstanden. Man darf es nur nicht übertreiben.«
»Habe ich das denn, Dad?«
»Meiner Meinung hast du das.«
»Ach, es ist doch nichts passiert.«
»Das stimmt schon, Liebes. Aber Mensch und Tier gehören getrennt. Für Tiere gibt es Ställe, für Menschen Häuser.«
»Ja, ja, Dad.«
Sie gingen die letzten Schritte und dann erschien schon Iris Miller in der offenen Hintertür. Die Frau sah erleichtert aus. Das hörte man an ihrem Atem. Für einen Moment schloss sie die Augen, dann umfasste sie ihre Tochter und drückte sie an sich.
»Jetzt haben wir uns wirklich Sorgen um dich gemacht.«
»Sie war bei den Hunden, Iris. Sie saß mitten zwischen ihnen und hat sich mit ihnen wunderbar verstanden.«
»Ja, das ist schon was Besonderes.«
»Die Hunde sind so lieb«, sagte das Kind.
»Klar, und du wirst auch lieb sein. Jetzt geht es zuerst unter die Dusche. Danach ins Bett, das schon auf dich wartet.«
»Okay.«
Die Eltern lächelten sich zu. Beide waren jetzt zufrieden, wobei James Miller daran dachte, dass das, was seine Tochter gesagt hatte, schon mehr als ungewöhnlich war …
***
Es war alles zügig vonstatten gegangen. Das Duschen, ein kleines Essen, das Putzen der Zähne, dann lag Lucy in ihrem Bett. Durch das offene Fenster, dessen Fläche durch ein Fliegengitter gesichert war, drang die kühlere Luft der Nacht. Es war inzwischen dunkel geworden, und Iris sah ihrer Tochter an, dass sie sehr müde war. Sie hatte Mühe, die Augen offen zu halten.
»So, jetzt wird geschlafen.« Iris strich mit der Hand über das Gesicht ihrer Tochter. »Morgen ist auch noch ein Tag.«
»Das weiß ich, Mummy.«
»Gut, dann …«
»Kann ich dir noch was sagen?«
»Okay, einen Satz noch.«
»Es war toll bei den Hunden. Ich konnte sogar mit ihnen reden.«
Iris lachte auf. »Ach, du Dummerchen, Hunde können nicht sprechen. Höchstens bellen oder knurren, aber nicht sprechen. Das hast du bestimmt nur geträumt.«
»Nein, habe ich nicht.«
»Und wieso nicht?«
»Weil ich in der Hütte war. Sie sind meine Freunde, das haben sie mir gesagt.«
»Aha – gesagt?«
»Ja.«
»Gesprochen?«
Lucy nickte im Liegen.
»Das kann ich nicht glauben.«
»Doch, Mummy, das haben sie. Ich habe ihre Stimmen gehört.«
»Und wo war das?«
»In meinem Kopf.«
»So ist das.« Iris tat, als würde sie ihrer Tochter glauben. »Was hast du denn da gehört?«
»Och, das war toll.«
»So? Und wie toll?«
»Sie haben mir gesagt, dass sie mich beschützen würden.«
»Finde ich klasse.«
»Mein ganzes Leben lang, Mummy. Bis ich nicht mehr bin. Ich werde immer ihren Schutz haben.«
»Das ist schön.« Iris Miller nickte. »Tiere sind oft so. Sie haben einen Beschützerinstinkt, der kann sich auch auf dich auswirken. Ich wünsche es dir, mein Kind.«
»Danke.«
»Aber jetzt wird geschlafen, und ich wünsche dir auch die tollsten Träume.«
»Du bist lieb, Mummy.«
Iris strich ihrer Tochter noch mal über das Gesicht, dann verließ sie das Zimmer. Eine
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