184 - Die Herren von Sydney
seine Identität verriet. Roney hatte viele Jahre unter Kriminellen, Aufrührern und Sektierern gelebt und zur Ausschaltung manches schlimmen Fingers beigetragen.
Es gab dort unten jede Menge rachsüchtige Lumpen, die nur darauf warteten zu erfahren, wer zur Ausschaltung ihres Vaters/Bruders/Sohnes/Freundes beigetragen hatte. Wenn Roney nicht mehr zur Sicherheit gehörte, brauchten seine noch aktiven Kollegen der Straße nur einen Tipp zu geben – und er war so gut wie tot. »Sir«, sagte Roney, als er begriff, dass es mit ihm aus war, wenn er seinen Vorgesetzten nicht umstimmen konnte, »ich bitte um Entschuldigung.« Er schluckte; es war ihm mörderisch peinlich, einem Menschen, der ein Arsch war, in den selbigen zu kriechen. Doch angesichts dessen, was ihm bevorstand, war dies allemal das kleinere Übel. »Ich weiß, dass ich mich daneben benommen habe, Sir… Es tut mir aufrichtig leid. Ich bin bereit, jede Strafe auf mich zu nehmen, um für das zu büßen, was ich angerichtet habe…«
Wäre er der Ansicht gewesen, es hätte ihm genützt, wäre er vor dem Captain auf die Knie gefallen, doch er wusste, dass er seine Lage mit einem so memmenhaften Verhalten nur noch verschlimmernkonnte. »Ich bitte Sie, Sir…« Roney schluckte. »Ich bitte um eine letzte Chance…« , Archer verzog höhnisch die Lippen.
Roney erkannte, dass es ein Fehler gewesen war, sich zu erniedrigen.
Der Captain genoss seine Unterwürfigkeit.
Roney fiel ein, was er beim Betreten des Büros in den hintersten Winkel seines Gedächtnisses geschoben hatte: Archer war nicht darauf aus, einem reuigen Sünder zu vergeben. Er wollte Macht ausüben. Er wollte beim Oberkommando als gnadenlos und entschlussfreudig dastehen – und Roneys Kollegen zeigen, was ihnen blühte, wenn es ihnen am nötigen Respekt mangelte.
»Raus!«, fauchte Archer. »Zu den Ratzen! Verschwinden Sie aus meinen Augen – oder ich lasse Sie hinausprügeln!« Und er deutete erneut auf die Tür.
Es kam von ganz allein. Ein Skalpell durchtrennte alles, was Roneys Verstand mit der Vernunft verband.
Seine Reflexe übernahmen die Kontrolle. Erst als seine Faust Archers Nasenrücken brach und das Blut seines Vorgesetzten ihm entgegenspritzte, begriff Roney, was er angerichtet hatte. Doch bevor die Vernunft Einfluss auf ihn nahm, wurde ihm auch klar, dass er jetzt völlig erledigt war und sich gerade deswegen den Genuss leisten durfte, den gnadenlosen Captain windelweich zu prügeln.
Klatsch! Klatsch! Klatsch! Roney ohrfeige ihn mit beiden Händen – wie einen Schuljungen, damit er lernte, wie es war, wenn man gedemütigt wurde, und verpasste ihm ein halbes Dutzend Haken. Als Archer besinnungslos am Boden lag, musste Roney sich mit aller Macht zusammenreißen, um seinen Rachegelüsten nicht völlig nachzugeben und ihm die Zähne einzutreten.
Feierabend! Er hatte es satt. Er wollte sich nicht mehr treten lassen. Eine heftige Übelkeit stülpte seinen leeren Magen um. Sein Kreislauf drohte zusammenzubrechen.
Als Roney sich umschaute, sah er den Handkoffer auf dem Schreibtisch. Er drehte ihn herum und sah, dass er ein Dutzend sauber geölte Handfeuerwaffen enthielt.
Himmel! Ich bin reich! Seine Übelkeit war wie weggeblasen. Roney dachte auch an die Leute, gegen die er sich dort unten auf der freien Wildbahn bald würde verteidigen müssen. Sie würden ihm bestimmt mit Respekt begegnen, wenn er den einen oder anderen am Lauf einer SIG Sauer lutschen ließ. Und nicht zuletzt gab es da auch noch das eine oder andere Grüppchen, das dem Oberkommando die Herrschaft über Sidnee neidete und bereit war, für gute Waffen ein kleines Vermögen zu zahlen!
Roney klappte den Koffer zu, trat an das fünfhundert Jahre alte Panzerglas und schaute in die Tiefe.
Die durch den aufgeplatzten Asphalt gebrochene Vegetation war rings um das Hohe Haus gerodet worden. Man brauchte freies Schussfeld und Platz für das schwerste Geschütz.
Roney hielt nach dem Panzer Ausschau. Da er ihn nicht sah, nickte er zufrieden und verließ das Büro mit dem Koffer an der Hand. Auf dem Gang zur Anmeldung begegnete ihm niemand.
Die arrogante Adjutantin war in ein Gespräch mit einem Colonel vertieft, der sie so zudringlich in eine Ecke bugsierte, dass es schon peinlich war.
Roney sah den um Hilfe heischenden Blick der jungen Frau, doch natürlich wäre er ebenso wenig wie sie auf die Idee gekommen, sich mit jemandem anzulegen, der dienstgradmäßig haushoch über ihnen stand.
So nickte er ihr nur
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