Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
184 - Die Herren von Sydney

184 - Die Herren von Sydney

Titel: 184 - Die Herren von Sydney Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald M. Hahn und Stephanie Seidel
Vom Netzwerk:
unverbindlich zu, bemühte sich, keine Schadenfreude zu zeigen, und verschwand in einem engen Treppenhaus, zu dem nur Männer seiner speziellen Einheit Zutritt hatten.
    Er musste das Gebäude sofort und möglichst ungesehen verlassen…
    ***
    Es gab romantischere Aktivitäten im Mondschein, als mit einer Ente spazieren zu gehen. Aber Clarice war nach dem Tod des fremden Asiaten nicht nach Romantik zumute. Außerdem hatte sie keine Wahl. Marsia, die schwarz gefiederte Pazifik-Natt’nik, ließ sich in ihren Entscheidungen nicht beeinflussen. Unverdrossen wackelte sie neben der jungen Wissenschaftlerin her.
    »Ich kann mir nicht erklären, warum dieses Tier so auf dich fixiert ist«, sagte Vogler. Er klang etwas säuerlich.
    Clarice versuchte zu vermitteln. »Sie handelt doch nicht mit Vorsatz, Vogler! Dass Marsia dich gebissen hat, war aus ihrer Sicht reine Notwehr. Du hast sie derart durchs Labor gescheucht – was sollte sie anderes glauben, als dass du ihr an den Kragen wolltest?«
    »Sie hat meine Proben gefressen«, murrte der Waldmann.
    Clarice lächelte. »Du bist es gewohnt, dass Vögel dich lieben, und du ärgerst dich, weil einer mal ablehnend reagiert. Das ist der Grund für deinen Unmut, nichts anderes! Aber keine Sorge, Marsia wird sich schon mit dir anfreunden. Lass ihr nur ein wenig Zeit.«
    »Zeit! In den Wäldern des Mars waren alle Vögel zutraulich, und alle haben mit mir kommuniziert. Es war nie eine Frage der Zeit, sondern des Prinzips!«
    »Ich weiß.« Clarice nickte. »Aber wir sind nicht auf dem Mars. Dies ist die Erde, hier gelten andere Regeln. Wir müssen lernen, sie zu verstehen.«
    Nach diesen Worten breitete sich Schweigen aus. Es schien alles gesagt zu sein, und die beiden Marsianer wanderten einträchtig nebeneinander auf den Strand zu.
    Wind pfiff über die dunklen Dünen, brachte den Sand zum Tanzen und ließ das Seegras rascheln. Im Osten ging der Mond auf, groß und rund und mit leuchtender Korona. Der Anblick war spektakulär für die Marsianer, deren eigene Monde Phobos und Deimos viel kleiner waren und im Widerschein der fernen Sonne am Nachthimmel des Mars kaum zu sehen waren. Besonders Clarice hatte Mühe, ihren Blick wieder auf den Weg zu lenken.
    Am Horizont schimmerte noch ein Rest blauer Helligkeit. Als Clarice und Vogler die Dünen verließen, enthüllte er für sie das geheime Leben der nächtlichen Küstenlandschaft. Man hörte sie nicht im Rauschen der Brandung, aber man sah sie als Silhouetten gegen den Westhimmel: Schalentiere auf der Jagd. Sie liefen unermüdlich in der Gegend herum, seitwärts zumeist, wackelten mit langen Fühlern und schwenkten ihre gepanzerten Scheren. Es sah aus, als würden sie winken.
    Man konnte es als Einladung verstehen, wenn man wollte.
    »Nat-nat«, machte Marsia und nahm das Angebot an.
    Den Hals gierig vorgereckt, rannte die Laufente mitten hinein ins Fressparadies, auf platten Füßen und mit klapperndem Schnabel. Marsia erwies sich als erstaunlich geschickt, obwohl ihre reguläre Kost aus Schnecken bestand und man nicht schnell sein musste, um die zu erwischen.
    Angegruselt und fasziniert zugleich verfolgten die Marsianer das Treiben der schwarzen Natt’nik. Mit einem Meter zehn war Marsia nicht gerade klein, entsprechend sah ihre Beute aus. Pulks flüchtender Krabben zogen vorbei, etliche schon ihrer Scheren beraubt. Ein armlanger, ehemaliger Tausendfüßler humpelte auf die rettende Brandung zu, und an Voglers Wade klammerte sich eine zerzauste Seegurke fest. Er merkte es nicht.
    Marsia hämmerte auf ihre Opfer ein, was der Entenschnabel hergab. Dem Geräusch berstender Schalen folgte ein Schmatzen, ein gelegentliches »Nat-nat!« und gleich das nächste Krachen.
    »Bei den Stürmen des Mars!«, sagte Clarice erschüttert, als das Töten endete. Ringsum lagen Schalenreste, leere Muschelgehäuse und abgeknipste Krabbenscheren im Sand. Mittendrin stand Marsia, rund wie ein Klops und auf faltigen nackten Entenbeinen, die krummer waren als sonst. Sie wirkte erschöpft, konnte sich kaum aufraffen, ihr Gefieder zu glätten. Selbst den Nachtisch, der unmittelbar vor ihr lag, beachtete sie nicht. Es war eine tellergroße Wurfmuschel. Warum das Wesen so hieß, zeigte sich, als es die Flucht ergriff.
    Das Gehäuse klappte einen Spaltbreit auf, und seine schlabberige Bewohnerin erschien. Sie streckte sich wie eine Zunge, wackelte hin und her. Kaum hatte sie den Sand berührt, verankerte sie ihre Spitze darin, spannte die Muskeln – und

Weitere Kostenlose Bücher