Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
184 - Die Herren von Sydney

184 - Die Herren von Sydney

Titel: 184 - Die Herren von Sydney Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald M. Hahn und Stephanie Seidel
Vom Netzwerk:
schleuderte sich selbst über Kopf davon.
    Mit der Eleganz einer Frisbeescheibe flog die Wurfmuschel dem Meer entgegen, und genauso elegant holte Marsia sie aus der Luft. Schon wollte die Natt’nik ihr Dessert aus der Verpackung klopfen, da verlor sie plötzlich das Interesse. Etwas musste ihre Entensinne erreicht haben.
    Schnatternd wackelte sie auf die Brandung zu. Die Flut hatte eingesetzt, und an den Strandklippen zerschellten donnernde, schäumende Brecher. Ihre Überreste flossen den Strand hinauf, tränkten ihn mit kaltem Meerwasser. Es platschte, wenn Marsia hinein trat. Und es tat noch mehr.
    Clarice atmete scharf ein, packte Voglers Arm. »Was ist das?«, fragte sie erschrocken und wies auf den dunklen feuchten Sand. Die Natt’nik hinterließ dort eine Spur aus kleinen Dreiecken.
    Sie glühten.
    »Phosphor?«, flüsterte Vogler stirnrunzelnd. Es war ein helles Grün, das die Nacht durchbrach. Die Marsianer beobachteten, wie Marsias Spur fließend erlosch – und wie bei jedem Schritt ein neuer Abdruck entstand. Selbst die Unterseite ihrer Plattfüße glühte. Es schien sie nicht zu stören. Was hatte das zu bedeuten?
    Vogler blickte über den Strand, auf dem Hunderte winziger Leuchtpunkte den Fluchtweg der Krabben verrieten. Auch die Wurfmuschel versuchte erneut zu entkommen, und diesmal schaffte sie ihren Diskusflug zum Meer. Herunterfallender Sand folgte ihr wie ein Kometenschweif.
    »Es kommt aus dem Boden!«, sagte Clarice alarmiert.
    Vogler schüttelte den Kopf. »Nein, nein! Hier geschieht etwas anderes.« Er zeigte auf die Brandung.
    »Sieh dir das an!«
    Clarice verschlug es den Atem. Eine siebte Welle (jede siebte Welle ist besonders groß) kam das Ufer hoch gedonnert, gekrönt von schäumenden Mähnen aus Licht.
    Sie zerfloss auf dem Sand und erlosch. Fische zappelten im Schlick. Eine voll gespritzte glühende Ente holte sie dort heraus.
    Vogler und Clarice zogen sich in die Ausläufer der Dünen zurück, wo es dunkel war und sicher. Dort suchten sie sich einen Platz, um das geheimnisvolle Naturschauspiel zu beobachten. Die Marsianer wussten nicht, was Meeresleuchten war. Sie kannten keine Mikroorganismen, die auf Berührungsreize mit Lichtsignalen reagierten. Sie sahen nur den wilden, ungebändigten Ozean, der blau und grün leuchtete, und dieser Anblick entschädigte sie für vieles.
    »Wundervoll«, sagte Clarice. Es kam aus tiefstem Herzen, und es galt nicht dem Mond über Augustus Island, obwohl sie in diesem Moment zu ihm aufsah.
    ***
    Derselbe Mond spiegelte sich auch in zwei fremden dunklen Augen. Agat’ol war mit der Brandung ans Ufer gekommen – lautlos, unbemerkt – und hatte sich auf einem Felsen niedergelassen, von dem aus er die Bucht überblicken konnte. Dort saß der Hydrit nun, starrte abwechselnd zum Nachthimmel hoch und dann wieder auf die Wellen, die in gleichmäßigem Abstand den Strand heraufkamen. Wenn sie sich verliefen, nahmen sie Sand mit. Er schäumte vor Nässe.
    Das Geräusch erregte den Hydriten. Agat’ol war nicht zufällig hier. In Mondnächten wie dieser stieg die Fruchtbarkeit junger Meeresschönheiten dramatisch an, und damit auch ihre Paarungsbereitschaft. Der gewöhnliche Durchschnittshydrit zog sich bei diesen Anlässen samt Gefährtin ins stille Kämmerlein zurück. Es ging sittsam und eher zweckdienlich zu, schließlich wollte man sich vermehren und keine Zeit auf triebgesteuerte Handlungen vergeuden. Oder gar den Schlaf der Nachbarn stören, Ei’don bewahre!
    Aber Agat’ol war kein Durchschnittshydrit mehr.
    Er war ein Mar’os-Krieger – seit er sich von den Pflanzenfressern abgewandt und begonnen hatte, Fisch und Fleisch zu essen.
    Mar’osianer hielten an der Lebensweise der ursprünglichen Hydriten fest. Sie verachteten die Lehren des friedliebenden Ei’don so tief wie sie Mar’os liebten, den Kriegsgott, der mit Kampffischen daherkam und das Recht des Stärkeren predigte. Seine Anhänger lebten im Verborgenen – notgedrungen, denn das angeblich kriegsmüde Hydritenvolk machte Jagd auf sie. Neulich erst war wieder eine Mar’os-Kolonie ausgehoben worden. Agat’ol bleckte die Zähne bei der Erinnerung.
    Irgendwann, wenn diese Pflanzenfresser am wenigsten damit rechnen, ist Zahltag, dachte er kalt. Seine Miene entspannte sich, als er hinzufügte: Aber nicht heute. Nicht hier. Wieder blickte er zum Himmel hoch. Quälend langsam wanderte der Mond in den Zenit. Noch brach sich sein Licht an den Felsformationen, und es war dunkel in der Bucht.

Weitere Kostenlose Bücher