184 - Die Herren von Sydney
Tief unter den Wellen aber, im Riff, bahnte sich bereits etwas an. Die Zeit der Korallenblüte war gekommen, und sobald der Mondschein das Wasser berührte…
Agat’ol hielt es nicht länger auf seinem Platz. Er glitt vom Felsen und begann seine Waffen abzulegen, ordentlich in einer Reihe, das ganze Arsenal: Schockstab, Messer, scharfe Haken. Dann löste er die Verschlüsse seines Harnischs. Er war aus dem Panzer der Meeresschildkröten gefertigt, was einerseits den Krieger verriet, andererseits schlicht notwendig war. Die üblichen Krabbenschilde waren dem Mar’osianer zu klein.
Mondlicht fiel auf den Strand. Agat’ol griff an sein Hüfttuch, zog es herunter. Nackt trat er aus dem Schatten der Felsen, ging zur Brandung. Er genoss den Wind auf seiner Schuppenhaut und den weichen nassen Sand unter den Füßen. Weiter draußen tauchten fremde Hydriten auf, und der erste Mondschein glitzerte ihnen entgegen. Bald schon – sehr bald! – würde sich die orange leuchtende Korona des Erdtrabanten auf den Wellen spiegeln und die Bucht zu einem Festplatz der Sinne werden.
Agat’ol watete ins Wasser. Die Mar’osianer – es mussten ungefähr dreißig sein – unterbrachen ihr spielerisches Herumgeplansche, um ihn zu grüßen, allerdings nur aus der Entfernung. Keiner kam näher, niemand gesellte sich zu ihm. Ihre Zurückhaltung lag an seinem Äußeren: Agat’ol war eine Missgeburt. Er trug einen doppelten Kamm mit ausgeprägten Stacheln, hatte drei Finger statt vier und war ungewöhnlich kräftig gebaut. Seine Schuppen glänzten nicht im üblichen Blaugrün, sie waren rot und schwarz gescheckt.
Hydritische Mediziner vermuteten, dass Agat’ol ursprünglich eine Zwillingsschwangerschaft war und der zweite Fötus sich in ihm aufgelöst hatte.
Agat’ol war eine Laune der Natur und zu einem Leben als Außenseiter verurteilt. Das hatte ihn hart gemacht und schließlich zu Mar’os’ Lehren getrieben. An jedem anderen Tag im Jahr war er bereit, den Hass auf sich selbst und seine Unvollkommenheit an seiner Umwelt auszulassen, zu töten und zu zerstören, was ihm über den Weg schwamm. Nur heute nicht. Heute, hier, in dieser Nacht, zog es Agat’ol in die weichen Arme einer Hydritin.
Tara’nea hieß seine Auserwählte. Sie war sehr jung und unerfahren, und wahrscheinlich sah sie in ihm nicht mehr als den Freak, der er war. Doch das macht nichts.
Hauptsache, sie kam nach Augustus Island! Und das würde Tara’nea. Sie hatte es versprochen.
Der Mond kreuzte den Rand der Felsen. Unwirkliches Silberlicht ergoss sich aufs Meer. Es drang durch die Wellen, erreichte das Riff in der Tiefe, berührte die Korallen. Es war wie ein Startsignal: Sie mussten sich fortpflanzen, sie konnten nicht anders. Ein massenhaftes Ablaichen begann. Wolken von Spermien und Eiern wurden ausgestoßen, trieben nach oben, vereinigten sich.
Die Mar’osianer in der Bucht wurden von dem weißlichen Schleim umspült. Er legte sich auf ihre Haut, machte sie weich und empfindsam. Der Duft der Korallen drang durch jede Schuppe, füllte das Wasser, hing in der Luft. Es war unmöglich, ihm auszuweichen, und weder die Fischmänner noch ihre Gefährtinnen konnten sich seiner Wirkung widersetzen. Er war eines der stärksten Aphrodisiaka der Meere.
Agat’ol war umringt von verschlungenen Körpern, spürte ihre Begierde, hörte ihr Stöhnen – und blieb unbeachtet. Dreißig junge Wilde lebten ihre Lust im Wasser aus, vereinigten sich, trennten sich wieder, griffen nach anderen Partnern. Hier und da wurden die Klacklaute der Hydritensprache zu hellen, rhythmischen Tönen, steigerten sich bis in den Ultraschall und endeten mit einem lang gezogenen Schrei auf einer Frequenz jenseits des Messbaren.
Silbersardellen kamen in die Bucht, riesige Schwärme, angelockt vom Korallenlaich. Ihnen folgten größere Fische, die sich an den Kleinen bedienten. Sie wiederum wurden von Hammershaakas zerrissen.
Es war die Nacht des großen Fressens. Jäger und Gejagte tummelten sich auf engstem Raum, töteten und wurden getötet. Blut, Korallensperma, Angst und Gier – diese Mischung initiierte einen Fressrausch orgiastischen Ausmaßes. Er sprang auf die Mar’osianer über. Ihre Tantrondrüsen waren geschwollen, pulsten im Takt des aufgepeitschten Herzschlags und brachten die kopulierenden Fischmenschen dazu, blind nach rechts und links zu greifen. Sie suchten keine Nahrung, sie fraßen.
Agat’ol litt. Er wusste nicht wohin mit seiner ungestillten Lust. Sein Körper
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