1848 - Zerrspiegel
Sternenlicht, mitten auf der Straße entlang.
Caljono Yai konnte sie jetzt deutlich sehen. Und sie sah auch, daß die schleichenden Schatten weiter aufeinander zustrebten und sich wiederum vereinigten, zu immer größeren Gebilden, bis nur noch ein einziger riesiger schwarzer Schattenfleck hinter ihr war. Der nun seine bisher auseinanderstrebenden Extremitäten zusammenzog und sich langsam aufrichtete. Er nahm keine Gestalt an, blieb ein undefinierbares, schlieriges, absolut finsteres Etwas, das wuchs und wuchs. Und es hatte ein wirbelndes, alles verschlingendes Zentrum, von dem sie ihre Augen nur mit Mühe losreißen konnte. Sie hatte das Gefühl, als würde ihr Geist unwiderstehlich davon angezogen, während ihre Füße automatisch weiter Reißaus nahmen. Was würde geschehen, wenn sie sich dem Sog nicht mehr widersetzen konnte?
Caljono Yai lief weiter, doch das Schwarze blieb hinter ihr. Es wuchs immer noch weiter, wie jener Fliegende aus dem Traum, und bald begriff sie, daß sie nicht entkommen konnte. Sie spürte, wie dieses Unbekannte, Unheimliche sie überholte, an beiden Seiten und über ihren Kopf hinweg, es hüllte sie geradezu ein, überall umgebend, und peinigte sie mit Furcht und Schrecken.
Dann hörte sie den Schrei eines Herreach aus einer schmalen Seitengasse vor ihr, und sie wandte sich sofort dorthin. Der Schrei hatte angstvoll geklungen, aber wenigstens war sie nicht mehr allein. Vielleicht konnten sie gemeinsam diesem fremden Schrecken entkommen?
Sie sah einen Herreach am Boden liegen, er stieß einen zweiten Schrei aus, und über ihn gebeugt stand ein anderer Herreach, ein langes, scharfes, besudeltes Messer in der Hand, mit dem er wieder und wieder auf den Wehrlosen einstach ...
Caljono Yai fuhr auf, sie war fast dem Ersticken nahe. Einige Zeit konzentrierte sie sich nur auf ihren Atem und ignorierte das Hämmern ihres Herzens. Schließlich wurde sie ruhiger, und sie sah durch den schmalen Fensterspalt das beruhigende künstliche Licht einer Lampe.
Wieder nur ein Traum; ein Traum, der in einen anderen übergegangen war. Und immer realistischer wurde. Wann würde der Zeitpunkt kommen, zu dem sie nicht mehr zwischen Wachen und Träumen unterscheiden konnte? Zu dem es tatsächlich keinen Unterschied mehr gab?
So ging es nicht mehr weiter.
Sie stand auf und machte sich auf den Weg zu Vej Ikorads Kammer in dem von den Neuen Realisten vor kurzem bezogenen Haus am Rand von Moond. Aber auf dem Weg war sie nicht sicher, ob sie nicht doch noch träumte. Nach wie vor lastete etwas Unbekanntes, Unheimliches schwer auf ihr, das sie fast wie ein körperliches Gewicht niederdrückte.
Es war nicht in ihr, aber um sie herum, umgab sie wie eine Hülle, die sich zusammenzog und wieder aufblähte. Es war nicht gut, es flößte ihr Furcht ein. Und es waren keine Reste eines Alptraums, sondern etwas, das sie aus dem letzten Alptraum mit in die reale Welt hinübergezogen hatte, so wirklich wie das Gefühl ihres eigenen Körpers, der zitternden Glieder, der Müdigkeit ...
Vej Ikorad zeigte sich keineswegs erfreut über die Störung. Er tadelte die junge Mahnerin.
„Benimm dich gefälligst nicht wie ein Mensch, Yai!"
„Ikorad, hier gehen unglaubliche Dinge vor!" Sie ließ sich nicht beirren und berichtete von den Schrecken der vergangenen Tage. „Diese Alpträume ... das ist etwas ganz Neues, doch es hört auch im Wachen nicht auf! Ich bin sicher, daß ich inzwischen nicht mehr die einzige bin, die das spürt. Wir müssen etwas unternehmen!"
„Was macht dich so sicher, daß du nicht verrückt geworden bist wie diese Terraner?" fragte der Sprecher der Neuen Realisten.
„Weil ich angefangen habe, die anderen zu beobachten. Schon seit Tagen benehmen sich viele Clerea und auch unsere eigenen Leute eigenartig ... Sie schauen sich bei vollkommen unpassenden Gelegenheiten immer wiederum, als hätten sie das Gefühl, verfolgt zu werden. Sie schrecken bei unerwarteten Geräuschen zusammen. Sie wirken erschöpft, jedoch gehen wir alle in der Dunkelheit schlafen, und wir haben uns daran gewöhnt. Spürst du es denn nicht, Ikorad?"
Sie starrte fast flehend in die schmalen Augen des Sprechers.
„Die Lage könnte tatsächlich ernst werden", sagte der Ältere schließlich.
4.
Nachrichten Den Beginn des zweiten Versuchs .mußten die beiden Esper jedoch verschieben, als die erste Nachricht eintraf.
Homer G. Adams meldete sich von der GILGAMESCH zu einer ungewohnten Zeit - am Morgen.
„Ich weiß, daß
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